Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Champagner entkorkt, die für den Fall der Fälle im Kühlschrank stand, und gleich darauf hatte er, in Antwort auf die Fragen von Frau und Tochter, zwei Flugtickets nach Paris und eine Reservierung im Hotel Ritz an der Place Vendôme aus der Tasche gezogen. Ihm zitterten die Finger, als er sie auf die Servietten legte, und wie immer, wenn er aufgeregt war, verzog er das Gesicht zu einer besonders steifen Miene und sah aus wie eine Schießbudenfigur. Dann erklärte er, was geschehen war. Sein wichtigster Lieferant, ein Großhändler aus Paris, wolle ihn mit einer Luxusreise beschenken, weil er ihm mit der letzten Bestellung die zweitausendste Perücke abgekauft habe.
Ritas Eltern, Conrad Manley und Leo Carratalà, waren noch nie außerhalb Spaniens gewesen. Ihre Flitterwochen, zwanzig Jahre zuvor, hatten sie nach Valencia und Alicante geführt, wo sie unzählige Verwandte von Leo besucht hatten. Ein Schlüsselbrett vom Nationalpark Ordesa, das im Flur an der Wand hing, erinnerte an einen Urlaub in den aragonesischen Pyrenäen, vor einem Jahrzehnt. Sonst waren sie kaum gereist. Paris war für sie beide immer ein romantisches Traumbild gewesen, aufgebaut aus den Versatzstücken Eiffelturm, Versailles, Louvre – und den Perücken von Ludwig XVI.
Rita setzte sich im Bett auf. Sie hörte dem Trubel nicht weiter zu, sondern blätterte in der letzen Ausgabe der Zeitschrift Garbo. Im Zimmer nebenan kämmte ihr Vater schon seit einer Weile zwei Perücken: die, die er bei der Abreise tragen, und die, die er im Koffer mitnehmen würde. Auf dem Kopf der Schaufensterpuppe zeigten beide die gleiche Frisur, links gescheitelt, doch die für den Koffer war gewagter, weil im Nacken vier Zentimeter länger und in winzigen, sehr schwer zu erzielenden Löckchen auslaufend. Sagen wir, sie war mehr Belmondo und weniger Delon. Während er sie mit dem Kamm bearbeitete, so sorgfältig, als handele es sich um sein eigenes Haar, sprach Conrad Manley mit sich selbst, bewegte immer wieder ruckartig den Hals und erhob ab und zu die Stimme.
»Ah, wenn mein Mistkerl von Vater jetzt hier wäre«, rief er spöttisch. »Ja, sieh dir an, wohin uns die Perücken bringen, würde ich ihm sagen: Nach Paris bringen sie uns!«
Sobald er auf seinen Vater zu sprechen kam, geriet seine kahle Kopfhaut, schimmernd und weich von all den Salben und Tinkturen, mit denen er sie pflegte, unter Anspannung und färbte sich scharlachrot. Und wenn er dabei, wie er sich ausdrückte, »mit einer Perücke bekleidet« war, floss das zarte Violett einer jungen Aubergine, mit dem sich sein Skalp überzog, unter den Rändern des Haarteils hervor. Das war kein Wunder. Meinen Großvater Conrad und seinen Vater Martí verband ein tiefer, auswegloser Hass, und wenn wir Conrads Worten Glauben schenken wollen, überlebte dieser Hass sie sogar beide. Ihr Groll aufeinander begann recht früh, nämlich als mein Großvater die Schule verlassen musste, um arbeiten zu gehen, und er wuchs mit der Zeit so sehr an, dass die beiden am Ende gegensätzlicher waren als Tag und Nacht.
Nun, Christofs, macht euch bereit für einen weiteren Schritt zurück. Als er aus dem Krieg heimgekehrt war – wo er so getan hatte, als würde er für die Republikaner kämpfen, bis es an der Zeit war, zu den Nationalen überzuwechseln –, begann mein Urgroßvater Martí für einen Friseur an der Ronda de Sant Pau, Ecke Paral. lel, zu arbeiten, in ebendem Geschäft, aus dem mein Großvater dann später den Perückenladen machte. Vor dem Krieg hatte Martí Manley für einige Stände auf dem Markt von Sant Antoni Waren ausgeliefert, doch an der Front war er darauf verfallen, sich vor gefährlichen Einsätzen zu drücken, indem er den Barbier spielte, und hatte Vergnügen daran gefunden, mit einem Rasierapparat Läuse zu töten, indem er wie mit einer Harke durch die Haarschöpfe fuhr; und die Soldaten hatten sich, kaum zu glauben, nicht einmal beschwert. Später, da auch einige der Offiziere sich von ihm rasieren und die Haare schneiden ließen, hatte er gelernt, sich zu bändigen und die Klinge im Zaum zu halten, denn sonst drohte ja die Arrestzelle.
Obwohl ihm seine militärischen Erfahrungen dort nichts nutzten, schwang er sich in dem Friseursalon rasch zum Chef auf. Zu Hause war er ein spröder Typ, der nicht viele Worte machte, als hätte die Zeit an der Front seine Gefühle verdorren lassen, doch mit Kamm und Schere in der Hand verwandelte er sich und beherrschte plötzlich alle Register des belanglosen
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