Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
anvertraut, was sie damit vorhatte, und sie sagten sich, auf diese Weise würde gleichsam ein Teil des Onkels weiterleben.
Obwohl er sie nur kurze Zeit trug, vergaß Conrad diese erste Perücke nie. Er sprach von ihr so gerührt, wie wir von dem ersten Hund sprechen, den wir als Kind hatten. Wie wir mit ihm spielten, wie er sich streicheln ließ, wie er bedingungslos für uns da war und wie ein ungekannter Schmerz uns lähmte, als er eines Tages empörenderweise starb.
Was die Perücke Conrad vor allem gab, war Selbstsicherheit. Samstagabends oder sonntagnachmittags drehte er oft mit seinen Freunden eine Runde. Sie schlenderten den Carrer Viladomat hinab bis zur Paral. lel, gingen dort in eine Kneipe, in der es Kickertische gab, oder lungerten am Personaleingang des Teatre Arnau herum, eine Stunde vor Beginn der Revue, um die eintretenden Tänzerinnen und Sängerinnen zu begaffen. Sie kannten sie von den Plakaten, ordneten sie in Ranglisten an, teilten sie hypothetisch untereinander auf, und es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sie sich ohne die weiten Mäntel vorzustellen, mit den Federhüten auf dem Kopf und den Netzstrümpfen und den Boas, die strategisch ihre Blöße bedeckten. Aus der ganzen Bande war Conrad der Einzige, der es wagte, den Mädchen anzügliche Bemerkungen zuzurufen oder bewundernde Pfiffe auszustoßen, worauf sie, wie es sich gehörte, mit einem herablassenden Lächeln reagierten. Sein jugendlicher Wagemut war das Gegenbild zu der ängstlichen Schüchternheit, mit der er eine halbe Stunde zuvor seinen Eltern verkündet hatte, dass er mit den Freunden ausgehe. Martí ließ aus seinem Sessel ein lustloses »Tschüs« hören, ohne ihn anzublicken; Dolors gab ihm einen Kuss und zwinkerte ihm zu, wobei sie ihm verstohlen die Rippen tätschelte. Sie hatten die Taktik gemeinsam ausgearbeitet: Vor dem Aufbruch schloss Conrad seine Zimmertür hinter sich, versteckte die Perücke unter seinem Hemd und achtete darauf, dass sie keine Beule machte. Sobald er sich dann draußen weit genug aus der Nachbarschaft entfernt hatte – bei jedem Schritt kitzelte ihn das Haarteil am Bauch –, trat er ins nächstbeste Café, bat um Erlaubnis, das Bad zu benutzen, und dort drinnen, weit weg von aller Welt, setzte er sich die Perücke auf und strich sie mit dem Kamm zurecht. Bald schon beherrschte er die Handgriffe blind, und wenn er wieder auf die Straße trat, plusterte er sich vor Stolz, ein ganz anderer Mensch.
Da es für ihn undenkbar war, sich mit verkleidetem Haupt seinem Vater zu zeigen, fanden er und seine Mutter sich mit der Aussicht ab, diese Routine der verheimlichten Perücken und der Cafétoiletten noch über Jahre weiterzutreiben, so lange, bis Martí eines natürlichen Todes sterben oder bis ein Kunde im Friseursalon eine unbedachte Bemerkung machen würde, ohne zu wissen, dass er damit eine Bombe zündete. Doch das glückliche Ende trat viel früher ein als gedacht. Mein Urgroßvater verreckte eines Samstagabends, allein und unbeachtet, als sein Sohn seit zwei Jahren die Perücke des toten Nachbarn trug und jeder im Viertel außer ihm das Geheimnis kannte.
Es geschah gegen acht Uhr. Er hatte den Laden schon geschlossen, und wie jede Woche verbrachte er eine Weile damit, die Fläschchen mit Floïd-Rasierwasser nachzufüllen. Zwar glaubten die Kunden, er massierte ihnen die Gesichter mit dem kostspieligen Originalprodukt – und er machte ein großes Spektakel daraus, fächelte ihnen mit einem Handtuch Luft zu, wenn sie sagten, dass es zu sehr brenne –, doch in Wahrheit verwendete er ein Wässerchen, das er en gros kaufte. Ein Chemiker aus dem Poble Sec destillierte es in seiner Garage, und alle paar Wochen fuhr Martí zu ihm und ließ ihn zwei Fünf-Liter-Karaffen auffüllen. Die Mischung dieses Chemikers war dem echten Floïd sehr ähnlich, der Unterschied bestand vor allem darin, dass sie einen höheren Anteil reinen Alkohols enthielt.
Als Dolors ihn tot auffand, an jenem Samstag um Mitternacht, lag Martí mit verzerrtem Mund und offenen Augen am Boden, und neben ihm war eine der beiden Karaffen in tausend Scherben zersplittert. Das falsche Floïd hatte den ganzen Laden mit seinem betäubend virilen Duft durchtränkt.
»Man denkt ja, man ist hier in der Garderobe vom Price«, bemerkte einer der Polizisten, als sie den Leichnam hochhoben. »Wenigstens kam der Tod zu diesem Herrn schön einparfümiert. Es gibt nichts Schlechtes, das nicht auch sein Gutes hat …«
Der Rechtsmediziner stellte
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