Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
empörten Passagieren im Büro für die Reklamation verloren gegangener Koffer.
Was Tante Matilde betrifft, so packte sie noch am selben Nachmittag ihre Sachen und entschwand, ohne sich auch nur von Rita zu verabschieden, auf Nimmerwiedersehen nach Sagunt.
Christofs, ich danke euch, dass ihr mir erlaubt habt, das buffoneske und dramatische Vermächtnis der Manleys vor dem Vergessen zu bewahren. Scheren und Perücken. Und nun, da wir Rita mit einiger Zukunftshoffnung auf ihren Posten am Flughafen gesetzt haben – ihr seht, wir kommen der Sache immer näher –, müssen wir noch einmal nach Deutschland reisen. Auch wenn wir keine Lust haben: Der 14. Februar 1972, Tag der Liebenden, verlangt es von uns.
Wir hatten gesagt, dass es wieder heftig zu schneien begann, nicht wahr? Bundó schlief. Der Pegaso, mit Gabriel am Steuer, raste immer schneller über die Autobahn …
Monate darauf, als er Rita schon kennengelernt hatte, aber noch zweifelte, ob er sein Leben wieder in Angriff nehmen sollte, ließ Gabriel sich einmal gehen und erzählte ihr in allen Einzelheiten von dem Unglück. Wie lange mochte er am Steuer geschlafen haben? Drei Sekunden, fünf Sekunden? Höchstens fünf. Nun schließt einmal die Augen und zählt bis fünf, Christofs. Das ist nichts, und es ist eine Ewigkeit. Genug Zeit, damit der Lastwagen nach rechts driften, von der Fahrbahn abkommen und etwa fünfzehn Meter weit einen bewaldeten Hang hinabschießen konnte. Ein unerklärlicher Lärm riss Gabriel aus seinem Schlummer und ließ ihn entsetzt aufschreien. Immer wenn er sich später an den Moment zurückerinnerte, trat ihm als Erstes das Bild eines Wasserschwalls vor Augen, der ihm mit übernatürlicher Gewalt entgegenschlug. Oft hatte unser Vater in den Jahren der Umzugsfahrten nachts geträumt, er würde mit seinen Freunden im Lkw von einer Brücke stürzen und in einen Fluss fallen. Das Splittern der Scheiben, die peitschenden Äste, der aufspritzende und hereinprasselnde Schlamm: All das folgte nun, bei dem wirklichen Unfall, dem Muster dieser Albträume.
Als der Pegaso endlich zum Stillstand gekommen war, in fast senkrechter Position und mit zerknautschter Kabine, brauchte Gabriel noch eine Weile, um die Lage zu erfassen. Sein linker Arm, zwischen zwei Falten der Tür eingeklemmt, übermittelte ihm die ersten Schmerzempfindungen. Er begriff, dass sie einen Unfall gehabt hatten. Scheiße, er war eingenickt. Während sein Gehirn langsam wieder zu arbeiten begann, drehte seine rechte Hand mechanisch den Zündschlüssel um und stellte den Motor aus. Ein Rad, das im Leeren rotierte, wurde immer langsamer, bis es stehen blieb. Da fiel ihm die Stille auf, die ihn umgab, eine falsche, aufdringliche, groteske Stille. Und schlagartig wurde ihm klar, dass Bundó tot war. Er sah sich mit einem Auge nach ihm um, das andere war blutüberströmt.
»Bundó! Bundó! Scheiße, wach auf!«, schrie er.
Die rechte Seite der Kabine hatte von dem Aufprall am wenigsten abbekommen. Bundós Haltung sah zwar nicht bequem aus, doch es war die Haltung, in der er immer im Laster schlief, den Kopf an die Tür gelehnt. Er hatte die Augen geschlossen, drei oder vier kleine blutende Schnittwunden im Gesicht. Aber ganz anders als sonst war nur ein Detail: die Neigung seines Halses, ein unmöglicher Winkel. Gabriel rüttelte ein paarmal am Körper des Freundes. Dann gab er auf. Er nahm Bundós Hand, als könnte er ihm auf diese Weise sein eigenes Leben übertragen, und fiel ebenfalls in Starre.
Nichts anderes mehr stand ihm zu.
Doch unverständliche Rufe, die immer näher kamen, hielten ihn halb wach.
Ein Glück, dass Schnee lag, Christofs. So früh am Tag, um sieben Uhr, waren noch nicht viele Autos unterwegs. Einige Minuten, nachdem der Pegaso von der Fahrbahn abgekommen war, stieg am Straßenrand ein Türke aus seinem alten Mercedes. Er war eine Weile in der Spur gefahren, die die Reifen des Lkw auf dem verschneiten Asphalt hinterließen, und hatte gesehen, wie die zwei parallelen Linien am Ende jenes schnurgeraden Abschnitts eine anmutige Kurve beschrieben und sich seitlich der Straße im Nichts verloren. Den Impuls, ihnen dorthin zu folgen, hatte er abgewehrt und beizeiten gebremst. Nun sah er die rauchenden Trümmer in der Tiefe, zwischen den Bäumen, und rannte den Hang hinab, durch die Schneise, die der Lastwagen gerissen hatte.
»Alles in Ordnung? Hören Sie mich? Sagen Sie was!«
Gabriel war sich nicht sicher, ob er vorher schon das Bewusstsein verloren hatte,
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