Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
wir bei jedem Umzug machten, Gabriel, Bundó und ich, war natürlich, uns bei den Leuten vorzustellen. Einer blieb unten, bewachte den geparkten Laster, legte die Gurte oder den Flaschenzug zurecht, und die beiden anderen gingen ins Haus, um den Job zu besprechen. Die Aufregung begann, wenn wir die Klingel drückten. Oh, diese Sekunden des Wartens, bis jemand öffnete! Wir hörten Schritte näher kommen, hörten Absätze, die unsicher klackerten, dann drückte sich ein Auge an den Türspion, dann drehte sich der Schlüssel im Schloss – und während all das geschah, vergaßen wir, dass wir die geschundenen Arbeiter von La Ibérica waren. Wir hatten das Gefühl, uns würde die Himmelspforte aufgetan. Die Frau, die uns empfing – immer war es eine Frau, ob Dienstmädchen oder Hausherrin –, schaute uns von Kopf bis Fuß an, halb erleichtert, halb verwirrt. Wir hatten schon Dutzende von Umzügen gemacht, und wir erkannten sie auf den ersten Blick: die, die voller Sorge war, die, die uns wie Luft behandeln würde, die, die es eilig hatte, die, die nichts sagte, die, die reden musste, um sich zu beruhigen, die, die uns wie eine Hummel umschwirrte, die, die uns Trinkgeld gab, um sich nicht schlecht zu fühlen. Unser Instinkt leitete uns, und wir passten uns an ihre jeweilige Art an, damit es ein ruhiger Umzug wurde. Doch zugleich trug jeder von uns so seine Hoffnungen mit sich herum, und das war es, was diese ersten Momente zu etwas Besonderem machte.
Ich zum Beispiel war in der Zeit scharf darauf, ältere Frauen kennenzulernen, vor allem verheiratete. Ich war selbst schon Anfang vierzig, hatte Bundó und Gabriel also zwanzig Jahre voraus, körperlich und geistig. Schuld war der Krieg, der hatte mich auf einen Schlag erwachsen werden lassen. Eben war ich noch zur Schule gegangen, der Lehrer war ein Republikaner, und ich hatte mit meinen Freunden Huckepackpferd gespielt, auf einer staubigen Dorfstraße in einem Kaff in Matarranya – und plötzlich stand ich als Soldat verkleidet vor einer Mutter, die weinte, als hielte sie gerade schon an meinem Bett die Totenwache. Ich weiß noch, was für eine Angst mir ihr Geschluchze machte und dass ich mich dadurch erst recht wie ein Baby fühlte. Ich lernte schießen, bevor ich lernte, mich zu rasieren. Wie man so sagt. Meine Jugend waren die zehn Monate in den Schützengräben am Segre. Dann die Demütigung der Niederlage, dann die tägliche Tortur des Militärdienstes in Teruel. Als ich das hinter mir hatte und wieder heimkam, war ein Mann aus mir geworden, aber eine Witzfigur von Mann. Ich probierte meine Klamotten von vorher an, und sie waren mir lächerlich zu klein. Meine Mutter weinte wieder, zwei ganze Tage lang, aber diesmal so, als hätte sie mich auferstehen sehen. Wenn ich Fotos von damals anschaue, erkenne ich mich kaum. Ich hatte mich in eine Art großen Bruder des Petroli verwandelt, der an die Front gegangen war; in einen dieser Brüder, die dich so sehr beschützen, dass am Ende nichts mehr von dir übrig bleibt. Auch von innen, vom Temperament her, war ich ganz anders geworden. Es fühlte sich an wie ständige Stiche, die aus dem Bauch kamen und von da ins Gehirn aufstiegen. Kaum war ich zurück, wollte ich schon wieder weg. Aber ich kämpfte dagegen an. Ein paar Wochen nach meiner Entlassung aus der Armee begann ich mit einem Mädchen aus dem Dorf zu gehen. Sie war ein bisschen jünger als ich und schwer beeindruckt von meinen halb erfundenen Kriegsabenteuern. Die Sache ließ sich gut an, aber nach einiger Zeit entnervte es mich, wie langsam alles ging. Ich hatte, während ich diente, einen Schnellkurs in Sachen Sex gemacht, bei ein paar Huren in Teruel – ach, was für arme kaputte Dinger, aber wie zärtlich und liebevoll! –, und jetzt, mit diesem Mädchen, langweilte ich mich zu Tode. Eines Samstagabends, als wir noch ein bisschen zusammen draußen waren, verlor ich die Geduld. Ihr wisst schon, was ich meine. Ihr Vater sucht mich bis heute. Meine große Schwester hatte unterdessen einen aus dem Nachbardorf geheiratet, den sie Tartana nannten, und war mit ihm nach Barcelona gezogen. Er arbeitete bei La Ibérica und sorgte dafür, dass sie mich auch nahmen. Sobald ich das wusste, stieg ich in den nächsten Bus.
Und wie ich dort nun lebte, im Barcelona der Vierziger-, Fünfziger-, Sechzigerjahre, weit weg vom Dorf, da muss ich auf den Satz von vorhin zurückkommen: Ich war scharf auf ältere Frauen. Jedes Mal, wenn sich eine von den Türen öffnete und ich
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