Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
sie zu der unwirklichen Burg zurück und warteten dort, bis Tembleque sie mit dem DKW abholte.
Doch irgendetwas musste in der Luft gelegen haben, ein Schauer, der sich von Bundó auf ihn übertrug, denn am nächsten Morgen verließ Gabriel früh das Haus und ging, bevor er sich auf den Weg zu La Ibérica machte, beim Mercat del Born vorbei. Aus der Ferne und ohne ein Wort zu sagen, verabschiedete er sich für immer bei der Kabeljauverkäuferin, die ihn gestillt hatte.
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D IE F RAUEN UND P ETROLI
Nummer 49. Barcelona–Biarritz. 6. Februar 1965.
Zwei Schuhkartons, mit Bindfaden zusammengebunden. Der eine ist größer als der andere. Im kleineren befindet sich ein Paar Herrenschuhe aus schwarzem Leder mit abgelaufenen Sohlen. Da sie Größe 42 sind und noch recht gut aussehen, behält sie Gabriel. Der größere war wohl ein Stiefelkarton, doch enthält er ein Schachbrett und dazu ein Holzkästchen mit Spielfiguren aus Alabaster. Ein weißer Bauer fehlt und wurde durch einen Dominostein ersetzt, die weiße Doppelnull. Wir spielen kein Schach, aber wir nehmen es mit in die Pension und schenken es Frau Rifà. Um den Platz im Karton auszunutzen, hat man noch ein Lederetui mit drei Havannas hineingepackt. Die wird Petroli rauchen, auch wenn bei einer die Spitze zerbröselt ist. Ein Briefbeschwerer aus Massivholz ist ebenfalls noch im Karton. Und ein kleiner Elefant mit erhobenem Rüssel und einer flachen Vertiefung im Rücken, in die man eine Streichholzschachtel legen kann. Das beides ist für Bundó.
Wir haben begonnen, die lange Liste der Beutestücke gewissenhaft zu studieren – oder der Diebesgüter, der Leihgaben, der Pfänder, der verlorenen oder einbehaltenen Objekte, oder wie ihr sie von euern Moralvorstellungen her nennen wollt. Nun, da wir auf diesem Gang durch Gabriels Leben im Jahr 1963 angekommen sind und der Motor des Pegaso sich warm läuft, um in halb Europa die Autobahnen abzufahren, öffnet jeder Eintrag in den Notizbüchern einen Geheimgang, der uns geradewegs in jene Zeit führt. Mit einem einzigen Absatz vier Jahrzehnte zurück. Am Anfang, auf den ersten Seiten, sind es bloß knappe, nüchterne Auflistungen. Vielleicht trauten Gabriel und Bundó damals dem älteren und erfahreneren Petroli noch nicht ganz über den Weg und hielten die Verteilung der Beute fest, um sicherzustellen, dass sie gerecht war. Mit der Zeit wurden die Listen dann ausführlicher. Wir wissen, dass Gabriel sie verfasste, allerdings schrieb er nie in der ersten Person. Von Mal zu Mal gerieten seine Darstellungen akkurater und feinsinniger, mitunter gestattete er sich auch Hinweise auf die Familie, die man bestohlen hatte. Wir wollen nicht behaupten, dass es sich um Literatur handele, aber diese Blätter lassen ein tiefes und besonderes Einverständnis zwischen unserm Vater und seinen beiden einzigen Lesern spüren. Das Spiel des Aufschreibens scheint ihnen mit der Zeit zum unverzichtbaren Teil des Beutezugs geworden zu sein. Petroli findet solche Deutungen zwar zu hochtrabend, aber für uns liegt gerade darin die Faszination der Einträge. Weil sie ausschließlich für seine beiden Freunde bestimmt waren, dürfen wir annehmen, dass uns Gabriel hier ziemlich unverstellt entgegentritt. Wenn wir etwas über sein inneres Wesen erfahren wollen, dann am ehesten aus diesen Auflistungen.
Oben haben wir ein Beispiel aus der Zeit angeführt, als sie detaillierter wurden. Nun zum Vergleich eines aus der Anfangsphase:
Nummer 4. Umzug nach Düsseldorf. 18. April 1963.
Eine alte Reisetasche.
Petroli: Zwei Krawatten. Ein Paar Hosenträger. Ein Dux-Pullover.
Bundó: Eine Krawatte. Ein Paar Lederhandschuhe.
Gabriel: Eine Krawatte. Eine dunkelgrüne Jacke.
Schon ein Jahr später hätte Gabriel ausgeführt, dass die dunkelgrüne Jacke (wir fanden sie in seinem Kleiderschrank) aus Cheviot-Tweed bestand, dass auf einer ihrer Taschen ein Wappen aufgenäht war und dass man sie vermutlich zur Jagd oder zum Reiten trug. Wenn er gerade besonders inspiriert gewesen wäre, hätte er noch hinzugefügt, dass in einer ihrer Taschen ein Eichenblatt vertrocknet war, vom Eigentümer im vorigen Frühjahr dort vergessen.
Was Petroli betraf, so nahm er im Anschluss an diese erste Reise nach Düsseldorf ein für alle Mal Abschied vom Gürtel und trat der Sekte der Hosenträgerfreunde bei. Das erfuhren wir vor ein paar Monaten, als wir ihn für ein Wochenende besuchten, um ihn von damals erzählen zu lassen. Zwar sahen wir das Risiko, wie eine dieser
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