Die italienischen Momente im Leben
mit der Diplomaufführung in Spoleto unseren Abschluss gemacht und keine Lust, in den traditionellen Theaterbetrieb einzusteigen. Deshalb schlug uns Pino vor, eine eigene Truppe auf die Beine zu stellen, jeder sollte fünfhunderttausend Lire einbringen. Im Sommer 1984 waren wir mit unserem zweiten Stück mit dem klingenden Titel Grobe Kerle, gekrönte Häupter, Bettler und betrogene Ehemänner unterwegs. Es basierte auf verschiedenen Komödien aus dem sechzehnten Jahrhundert, schon im Vorjahr hatten wir mit Machiavellis Lustspiel La Mandragola – Die Springwurzel , bei dem ein Jazzquartett live spielte, einen riesigen Kassenerfolg erzielt.
Das waren die Zeiten, wo man aus Kostengründen alles selber machte. Wir fuhren die Laster, bauten das Bühnenbild undsogar die Zuschauertribüne auf, installierten Licht- und Tonanlagen, nähten unsere Kostüme, und natürlich spielten wir auch noch. Wir waren ausgelassen und fröhlich, und wenn ich zurückblicke, erscheint mir diese Zeit als eine der glücklichsten in meinem Leben. Mit La Festa Mobile lernten wir die Welt des teatro popolare , des volkstümlichen Straßentheaters, kennen: Der Marktplatz eines Dorfes oder ein zentraler Platz in einer großen Stadt waren der ideale Ort, an dem wir uns im Einklang mit uns und unseren Zielen fühlten.
Die Piazza della Repubblica kann man sicher zu Recht als den wahren Mittelpunkt des toskanischen Städtchens Cortona bezeichnen. Hier liegt auch das Rathaus, das als Wahrzeichen der Stadt gilt. Vor allem am Wochenende ist diese Stadt immer voller Menschen, und das bei Tag und bei Nacht. Jede Menge Touristen drängen sich dann in den historischen Gassen und Straßen, und rund um Ferragosto, den beliebten Feiertag zu Mariä Himmelfahrt, und Anfang September, wenn die berühmte Antiquitätenausstellung und -messe stattfindet, wird es besonders voll.
»Hoch droben auf einem toskanischen Hügel, fünfzig Meilen entfernt von unserer lieben Stadt Florenz und zwischen Arezzo und Perugia, erhebt sich stolz die ebenso alte wie edle Stadt Cortona.« So beschreibt eine Marmorinschrift an der Mauer eines Palazzos aus dem Jahr 1639 die Stadt. Am Stadtbild hat sich seitdem wenig verändert. Cortona liegt in dem Städtedreieck Arezzo-Siena-Perugia, das in Mittelitalien die meisten Kunstschätze birgt. Es ist nur achtzig Kilometer von Florenz entfernt, und ich lege die Stadt vor allem jedem Liebhaber der Antike dringend ans Herz, doch die zahlreichen Sehenswürdigkeiten reichen von der Zeit der Etrusker über die Renaissance bis in die Gegenwart.
Wir haben gerade die Beleuchtung installiert, und jetzt gönnen wir uns ein paar Stunden Pause. Nicht weit entfernt fällt mir an einer Ecke der Piazza eine rotweiß gestreifte Rolle auf, die vor einem Geschäft senkrecht an der Wand montiert ist.
»Was ist das?«, frage ich den Verkehrspolizisten.
»Das ist das Schild eines Barbiersalons.«
Nicht einmal mit tausend Elektroden zur Manipulation meiner Hirnwellen hätte man in mir schlagartig eine so weit zurückliegende Erinnerung wachrufen können.
Ich nähere mich. Auf dem Schaufenster steht in großen Buchstaben: »Barbier«. Dann trete ich ein. Allein das ist schon eine Offenbarung. Drinnen empfangen mich große Spiegel und fragend auf mich gerichtete Blicke. Ein gründlich eingeseifter Kunde sitzt auf einem Sessel, einige Kunden auf den Bänken an der Wand, dann sind da noch der Barbier und sein junger Gehilfe.
Die altertümliche Behäbigkeit der Gesten und diese besondere Atmosphäre katapultieren mich fünfzehn Jahre in die Vergangenheit zurück. Glaubt man dem Verkehrspolizisten, so ist hier die beste Gelegenheit, das wahre Cortona kennenzulernen, wo jeder Pups im örtlichen Leben mit geschniegelter Gleichgültigkeit über den Kamm geschoren wird. Sergios Barbierladen: eine geheiligte Institution. Selbst wenn es nicht danach aussieht, fürchtet man ihn mehr als die heilige Kirche, die hoch über dem Platz aufragt. »Mastro Sergio«, Meister Sergio, der diesen Ehrentitel wegen seines Talents und seines Rufes trägt, gilt im Unterschied zum Pfarrer oder dem Apotheker auch ohne akademische Weihen als Respektsperson, ein kluger Mann, der immer einen Ratschlag zur Hand hat – für den grünen Jungen bei seinen ersten zaghaften Annäherungsversuchen beim anderen Geschlecht, wie für den Alten, der sich ständig mit seinen Kindern streitet.
Ich setze mich auf die Bank und warte, bis ich mit dem Haarewaschen an die Reihe komme. Sergio unterhält sich
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