Die italienischen Momente im Leben
Klatsch und Tratsch zu erfahren oder einen boshaften Kommentar über irgendjemanden, und selbstverständlich auch, um sich die Haare schneiden zu lassen.
Keine Frau betrat den Salon, es sei denn, sie musste einen von uns Jungen begleiten, wenn es anlässlich eines anstehenden Großereignisses (Taufen, Erstkommunionen oder Hochzeiten) unumgänglich war. Wegen des fast ausschließlich männlichen Publikums war es einigen ausgewählten Kunden vergönnt, sich hier gewisse gewagte Zeitschriften anzusehen.
Damals – wir sprechen hier vom Ende der Sechzigerjahre – gab es noch keine wirkliche Pornografie, Aktbilder waren fast alle mit Balken versehen, um die Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Zensur zu vermeiden: kein einziges Schamhaar durfte man sehen, vom Geschlechtsakt oder Ähnlichem ganz zu schweigen. Das einzige Zugeständnis war der Busen, der in all seiner üppigen Pracht – so wie es damals Mode war – ohne größere Zensurbeschränkungen gezeigt werden konnte. Die Einsicht besagter »verbotener« Zeitschriften war nur wenigen Kunden vorbehalten, wie hätten da wir Jungs Zugang dazu erhalten sollen. Daher erfanden wir alle möglichen Ausreden, um den Barbiersalon zu betreten und dieses Verbot zu umgehen. Was allerdings nicht ganz einfach war, denn die Magazine hielt Severino in einem Schränkchen unter Verschluss. Doch mit der Zeit hatte ich mich mit dem Barbier angefreundet. So brauchte ich ihm nur ein: »Ich muss mal!« zurufen, und schon durfte icham Waschbecken vorbei hinter den Vorhang schlüpfen, wo der Schlüssel hing. Und dann konnte ich stundenlang dort sitzen.
Draußen im Salon ging inzwischen das Leben weiter: Die Kunden auf dem Stuhl wechselten, im Radio hörte man vielleicht einen Song von Adriano Celentano, rund um das Tischchen am Eingang fand sich eine Kartenrunde zusammen.
Es gab noch einen anderen Grund, warum so viele Kunden zu Severino kamen: die Chance, am Ende des Jahres einen ganz besonderen Kalender geschenkt zu bekommen. Der in weißen Karton und mit einer bunten Schnur verpackte Taschenkalender war stark parfümiert und auf den zwölf Innenseiten, eine für jeden Monat, prangte neben dem Kalender die Zeichnung einer halb nackten, stets lächelnden Frau in verschiedenen, aber immer aufreizenden Posen. Der Umschlag ließ nichts über den Inhalt durchblicken und trug keinerlei Reklame: damals herrschte noch Diskretion!
Bei Geschäftseröffnung war der Barbiersalon ziemlich spartanisch eingerichtet gewesen: zwei Sessel in der Mitte und davor ein Spiegel. In die Theke war das einzige, immer randvoll mit Wasser gefüllte Emailbecken integriert, in dem Severino die Pinsel und die drei oder vier Rasiermesser reinigte, die er danach wieder ordentlich aufreihte. Dazu gab es noch den einen oder anderen Stuhl, die man nach Belieben irgendwo im Geschäft hinstellen konnte, und das berühmte Tischchen am Eingang für die gelegentlichen Kartenspiele. Ein kleiner, in Falten gelegter Vorhang trennte das Ladenlokal von dem bewussten Hinterzimmer ab, in das ich ab und zu schlüpfte, während auf einem Wandregal die Flaschen mit dem Kölnisch Wasser präsentiert wurden … ich habe diesen intensiven Parfümgeruch immer geliebt!
Eines schönen Tages ging es mit Severino durch … bildlich gesprochen … und nach einer ordentlichen Renovierung gab er ein Fest zur Einweihung des neuen Ladens, damit alle seine »Neuerwerbungen« bewundern konnten: zwei große Wandleuchter neben dem Spiegel, zwei moderne Drehsessel aus rotem Kunstleder, zwei neue Haarwaschbecken und auf dem Regal funkelnagelneue Rasiermesser.
Und auf dem Tischchen ein wunderschönes glänzendes Radio.
Alles neu, viel funktioneller, aus Severinos Barbierstube war nun ein richtiger moderner Frisiersalon geworden. Von da an gab es keine Männerrunden mehr mit anzüglichen Witzen und Geschichten, denn die Kundschaft nahm immer mehr zu, und Severino musste sich beeilen. Jetzt blieb ihm und seinem immer viel beschäftigten Gehilfen nur noch Zeit für einen flüchtigen Gruß und einen schnellen Kommentar zu den letzten Fußballspielen. Das war das Ende einer Ära … und die verbotenen Magazine verschwanden auch.
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Das Theaterensemble La Festa Mobile verdankte seine Existenz dem großen Organisationstalent und der außerordentlichen Tatkraft unseres Regisseurs Pino Quartullo. Ohne ihn hätte es unsere Truppe wahrscheinlich gar nicht gegeben. Wir waren sieben Darsteller, hatten alle zwei Jahre zuvor in derselben Schauspielklasse
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