Die italienischen Momente im Leben
sind dringend Turnschuhe angesagt (obwohl wir einige Amerikanerinnen mit Flipflops gesehen haben!!??). Wieder zurück in Manarola essen wirin einem ausgezeichneten, maritim gehaltenen Restaurant mit einer riesigen Panoramaterrasse zu Mittag: fangfrischen Fisch, hausgemachte Nudeln, im Hintergrund läuft Musik. Wir haben die Spaghetti allo scoglio , also mit Muscheln und Meeresfrüchten, und die schmalen Bandnudeln nach Art von Manarola (mit Garnelenschwänzen, Kirschtomaten und Pinienkernen) probiert und eine gemischte Platte mit frittiertem Fisch, dazu Wasser, und zum Abschluss gibt es einen Espresso. Natürlich hat Jack alles bezahlt. Nach dem Essen machen wir einen Spaziergang auf der Via dell’Amore, ein in den Fels gehauener Weg, der Manarola mit Riomaggiore verbindet. Auch diesen »Liebesweg« sollte man sich nicht entgehen lassen. Er ist kurz, dauert nur eine halbe Stunde und ist wirklich für jeden geeignet.
Riomaggiore ist genauso schön wie die anderen Dörfer, eine Reihe bunter, sich dicht aneinanderdrängender Häuser mit einem Miniaturhafen. Wie zum Beweis, dass es auch hier dem Menschen gelungen ist, noch den kleinsten Raum zu nutzen, ist der Hafen aller Enge zum Trotz über und über mit Fischerbooten angefüllt, die alle verschieden aussehen. Dann fahren wir zurück nach Manarola und holen unser Gepäck. Bevor wir für die nächste Vorstellung zur Theatertruppe in La Spezia stoßen, steigen wir noch für eine halbe Stunde in Portovenere aus.
Hier fallen einem sofort die phantasievoll bunten Fassaden der schmalen Häuser hinter dem Hafen ins Auge. Wir werfen einen Blick in die kleine, dem heiligen Petrus geweihte Kirche (sehr hübsch … es findet gerade eine Hochzeit statt), dann machen wir einen kurzen Besuch in der Hauptstraße des Ortes, wo es eine bekannte Focacceria gibt … Wir bestellen einen riesengroßen Teigfladen belegt mit Kartoffeln und Speck.
Wir nehmen ein Taxi. Jack holt aus seiner Reisetasche das Kartenspiel, das er immer dabeihat, und mischt die Karten auf dem ausklappbaren Tischchen.
Jack: Nur drei Runden.
Nummer drei: Einverstanden, aber kann mir jemand eine Zigarette geben … meine sind alle.
Nummer vier: Was wird der Fahrer sagen, wenn er uns pokern sieht?
Bruno: Und Jetons haben wir auch keine …
Jack: Wir nehmen einfach Zigaretten.
Nummer drei: Was ist der Einsatz?
Jack: Der Gewinner spendiert allen den nächsten Ausflug.
Bruno: In zwei Wochen sind wir in Venedig.
Jack: Phantastisch, da komme ich auch hin! Les jeux sont faits !
9.
CORTONA
1984
Als ich ein kleiner Junge war, also zumindest bis ich zehn Jahre alt wurde, war Sex für mich ein einziges Mysterium. Dafür gab es mehrere Gründe. Die nicht gerade üppige oder ausgewogene Ernährung der damaligen Zeit sorgte dafür, dass wir körperlich noch nicht so weit entwickelt waren wie die Jungen heute, und die sehr eingeschränkten Informationsmöglichkeiten trugen dazu bei, Sexuelles in eine geheimnisvolle Aura zu hüllen und zu einem Tabu zu machen. Wenn man dann doch aus irgendeinem Grund auf das Thema zu sprechen kam, überprüften die »Großen« zunächst aus den unterschiedlichsten Motiven sorgfältig, ob keine neugierigen Ohren in der Nähe waren. Für uns Kinder war die Welt des Geschlechtslebens schlichtweg eine unbekannte Galaxie.
Die strikte Trennung nach Jungen und Mädchen in vielen Alltagssituationen war nicht gerade hilfreich: separate Bankreihen in Kirche und Schule, von Turnhallen mal ganz zu schweigen, wohin sich ein Mädchen höchstens in Begleitung seines Vaters verirrte. Unser einziges Wissen über dieses geheimnisvolle »es« beschränkte sich also auf die wenigen Bruchstücke, die wir beim Barbier in den Gesprächen der Erwachsenen aufschnappen konnten. Also taten wir schlauen Kerlchen so, als spielten wir, während wir uns an der Tür des Friseurladens (die in den Sommermonaten immer offen stand) herumtrieben unddie Ohren spitzten. Die Schönheit der attraktivsten Mädchen und die Reize gewisser »leichter« Damen waren irgendwann am Spätnachmittag der Hauptgesprächsstoff. So wurde der Barbiersalon für uns acht- bis neunjährige Jungs zu einem Wallfahrtsort, der unsere Phantasie aufs Heftigste beflügelte.
Severino, der Barbier meines Heimatstädtchens in den Abruzzen, hatte seinen Laden im Zentrum. Junge wie alte Leute kamen zu ihm, und zwar nicht nur, um über Sex zu reden, sondern auch, um seine Witze zu hören (von denen er Dutzende auf Lager hatte), um den allerneuesten
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