Die italienischen Momente im Leben
Kuss allein dort sitzen blieb. Gerade hatte sie mich verlassen und war durch das Tor einer wunderschönen Villa mitten im Grünen geschlüpft. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir bis Montemolino gelaufen waren, einem recht malerischen Stadtteil von Todi oberhalb des Tibers. Dann sah ich, wie sie sich bei Luigi unterhakte, ausgerechnet beim unsympathischsten Jungen unserer ganzen Clique, der auch gerade nach Hause gekommen war. Luigi war reich, sein Vater ein angesehener Hotelier in Todi, und Laura war seine Schwester. Von nun an kannte ich nur noch ein Ziel: Ich wollte unbedingt sein bester Freund werden.
Und ich schaffte es. Ein paar Tage später wurde ich zum Abendessen bei ihnen eingeladen, doch als ich Giovannis Mutter davon erzählte, meinte sie: »Ich möchte nicht, dass du zu den ›Montemolinos‹ gehst.«
So nannte sie ein wenig abschätzig Luigis Familie, da diese Leute, wie sie meinte, etwas zu offen zeigten, was sie hatten. Selbstverständlich hörte ich nicht auf sie und stand pünktlich um acht Uhr abends vor der Haustür. Das alte Landgut, das die Familie als Sommerhaus nutzte, war wunderschön und geschmackvoll restauriert. Und ehrlich gesagt, von übertrieben zur Schau gestelltem Reichtum habe ich nichts bemerkt, alles strahlte schlichte Eleganz aus. Sie war nicht zu sehen, und ich verzehrte mich doch so nach ihr. Außer mir waren da Luigi, seine Eltern und ein Junge, den ich nicht kannte. Wir setzten uns zu Tisch und begannen mit den Antipasti. Dann wurde der Pasta-Gang serviert: Spaghetti mit Sardellenfilets und Semmelbröseln! In dem Moment blickte ich auf und sah sie in einem weißen Pareo, schön wie eine heidnische Göttin, die innere Prachttreppe herunterkommen.
Laura kam an den Tisch und raunte mir zu: »Du siehst aber süß aus heute Abend.« Mein Herz klopfte wie wahnsinnig. Selig träumte ich davon, ihre Lippen zu berühren wie ein paar Tagezuvor. Doch nach dem Abendessen musste ich mit ansehen, wie sie am Pool der andere küsste. Der Rest des Abends verschwand im Dunkeln.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug, und der Tag meiner Abreise war gekommen. Wir trafen uns zum Abschied noch einmal alle auf dem Hauptplatz des Ortes. Perfekt wie immer kam sie zu mir, begrüßte mich mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange, strich mir kurz über die Haare und meinte nur lässig, wir könnten uns ja im nächsten Sommer wiedersehen. Was hatte ich getan, um von einem Moment auf den anderen mit so viel Gleichgültigkeit behandelt zu werden?
Der Sommer war noch lang, die darauf folgenden Monate noch länger, und ab und zu ließ ich mir von meiner Mutter Nudeln mit Sardellenfilets und Semmelbröseln kochen und zählte die Tage, die mich noch von ihr trennten. Ich malte mir gemeinsame romantische Spaziergänge in Todi und Umgebung aus und legte mir jetzt schon zurecht, was ich ihr bei unserem Wiedersehen sagen wollte. Im nächsten, einem ziemlich verregneten Sommer kehrte ich schon im Juni nach Todi zurück, aber Laura kam nicht wieder.
~ ~ ~
Wenn mir in jungen Jahren eine Wahrsagerin aus der Hand gelesen und mir vorhergesagt hätte, dass ich eines Tages die fesche Arbeitskleidung eines Kochs überstreifen und zusammen mit einem großartigen Küchenchef in einem renommierten umbrischen Restaurant kochen würde, nun ja, dann hätte ich sie ausgelacht. So wenig Hirn kann keiner haben, mir, dem Mann mit den zwei linken Händen, vor allen Dingen am Herd, so etwas zuzutrauen.
Und auch wenn keine Magierin je meine Hand in ihre Finger bekommen hat, so stand ich doch eines schönen Abends tatsächlich in einer Nobelküche.
Irgendwann, es ist Juni, ruft mich Giovanni an (inzwischen Eigentümer und Chefkoch eines beliebten Restaurants in Todi) und fragt: »Möchtest du nächsten Samstag mit mir zusammen kochen?«
»Zusammen mit dir ... sag mal, spinnst du?«
»Keine Sorge, ich bring dir alles Nötige bei. Was hältst du von Spaghetti mit Sardellenfilets und Semmelbröseln?«
»Im Ernst? Na gut, ich bin dabei!«
Ich freute mich riesig: Endlich würde ich lernen, mein Lieblingsgericht selbst zuzubereiten. Und außerdem hätte ich Gelegenheit, alte Freunde wiederzusehen ...
Samstagnachmittag mache ich mich also auf nach Todi. Eine Stadt, reich an Kirchen, Palästen, Überresten aus der Zeit der Etrusker, einem vollständig erhaltenen mittelalterlichen Viertel, eingebettet in die wunderbare Landschaft Umbriens, die Professor Richard S. Levine von der U.S. Kentucky University zur
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