Die italienischen Momente im Leben
»lebenswertesten Stadt der Welt« erklärt hat. Das ist doch was, oder?
Ich parke auf der Piazza del Popolo, während viele Erinnerungen auf mich einstürmen, und lege den restlichen Weg zum Restaurant zu Fuß zurück. Giovanni erwartet mich schon und drückt mir eine Schürze in die Hand. Sogleich beginnt die Kochstunde: Um mich herum zischt und brodelt es, verlockende Düfte steigen auf und vermischen sich, Flammen lodern vom Gasherd auf. Drei Stunden darf ich dort verbringen. Am liebsten hätte ich jetzt auch noch Augen im Hinterkopf, um meinen Freund immer im Blick zu haben, und zwei Münder, um ihm gleich doppelt so viele Fragen zu stellen. Die Zeit vergeht im Nu.
»Ach du Schreck, jetzt ist schon Abend, und wir machen gleich auf!«
Die ersten Gäste treffen ein und zwei nette junge Mädchen, die im Service arbeiten. Die ersten Gerichte verlassen die Küche, mein Adrenalinspiegel bewegt sich in den roten Bereich: Ich muss mich konzentrieren, damit alles perfekt wird. Ein paarMinuten vergehen, und die Vorspeisenteller kommen leer gegessen zurück. Jetzt bin ich an der Reihe! Zeit für meine »Spaghetti mit Sardellenfilets und Semmelbröseln«.
Zehn Minuten später kehren auch diese Teller leer zurück.
»Kinder, ich hab’s geschafft!«
Aber damit ist die Aufregung noch nicht zu Ende. Wie immer möchte Giovanni nach den ersten Gängen seine Runde bei den Gästen machen: Er wird sie begrüßen und ein paar Worte mit ihnen wechseln. Und er besteht darauf, dass ich ihn begleite.
»Ach Quatsch, das sollte ich wirklich nicht ...«
»Los, du Feigling ... jetzt binde dir schon die Schürze ab und komm mit.«
Als ich den Gastraum betrete, sehe ich sie. Dort sitzt Laura, schön wie immer. Sie steht auf, um mich zu begrüßen. Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, trotzdem kann ich nur verlegen stottern:
»Ich wusste nicht, dass du hier sein würdest ...«
Giovanni grinst breit.
»Das Ganze war Lauras Idee, die gerade aus den Staaten zurückgekommen ist. Sie wollte dich damit überraschen ... jetzt lasse ich euch mal allein, und guten Appetit.«
Ich nehme Platz und komme mir vor wie bei einem dieser romantischen Candle-Light-Dinner.
»Ich habe gehört, du hast geheiratet.«
»Ja, und ich habe eine elfjährige Tochter.«
»Ich wollte dich einfach wiedersehen ... Deshalb habe ich Giovanni angerufen ... Ach so, ehe ich es vergesse, Luigi lässt dich grüßen. Er ist mit unseren Eltern auf Reisen. Heute Nacht werde ich also ganz allein in Montemolino sein, und ich muss gestehen, dass es mir in diesem riesigen Haus allein ein wenig unheimlich ist.«
Wir beenden unser Abendessen und rufen ein Taxi. Dort sitzen wir ganz dicht beieinander. Sie rückt noch etwas näher an mich heran und legt mir den Kopf auf die Schulter. »Gefalle ichdir immer noch?« Ich lege einen Arm um sie. Sie schaut mich mit ihren großen Augen an, die in der Dunkelheit provozierend funkeln. Ihre inzwischen kupferroten, ein wenig zerzausten Haare sind so nah, dass ich sie berühren könnte, wenn ich das wollte.
»Was ist ... hast du Angst?«
»Nein, das ist es nicht. Ich freue mich wirklich, dich wiederzusehen, und ich kann nichts Schlimmes daran finden, wenn zwei alte Freunde, die sich nach Jahren wiedersehen, einander freundschaftlich umarmen.«
»Freundschaftlich umarmen?«
»Haben dir meine Spaghetti geschmeckt?«
Sie lächelt.
Ich drücke sie ein wenig fester. Jetzt kuschelt sie sich eng an mich. Ich berühre ihre Haare mit meinen Lippen, atme ihren warmen, einladenden Duft. – Würde jetzt wirklich passieren, was eigentlich vor zwanzig Jahren hätte geschehen sollen? Bin ich tatsächlich kurz davor, mit Laura ins Bett zu steigen? – Ein Teil von mir bekommt es mit der Angst zu tun, erwägt verzweifelt Ausflüchte. Aber ich muss gar nicht lange danach suchen.
»Und du ... bist du verheiratet?«
»Ja, aber nicht mehr lange. Meine beiden Kinder leben bei ihrem Vater in New York.«
Langsam ziehe ich meinen Arm zurück und setze mich aufrecht hin. Verärgert richtet sie sich die Haare und sorgt wieder für ein paar Zentimeter Abstand zwischen uns. Wir verlassen das Taxi, gehen zum Tor. Ich begleite sie.
»Willst du wirklich nichts mehr bei mir trinken?«
»Nein danke, Laura, wir hatten einen schönen Abend.«
Sichtlich enttäuscht wendet sie sich ab, schließt das Tor auf, bevor sie sich noch einmal zu mir umdreht und sagt:
»Ja ... deine Sardellen waren gut.«
Es gibt Momente, in denen du erwartest, dass die wichtigsten
Weitere Kostenlose Bücher