Die Jaeger der Nacht
geschlagen. Wir machen noch ein bisschen Pause, okay?«
Es starrt mich wieder aus seinen klugen Augen an, blinzelt und schaut dann mit leerem Blick in die Ferne.
Ich steige auf den Kutschbock und lasse meinen Blick über das endlose Weite schweifen. Vor mir erheben sich die Berge im Osten mit ihren schneebedeckten Gipfeln, größer als ich sie je gesehen habe; zur Rechten und Linken nichts als karge Ebene, nicht die geringste Bewegung am Horizont. Ich schaue auf das Pferd hinab. Ist es möglich, dass es mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hat? Vielleicht hat es gar keine Ahnung, wohin es wie verrückt galoppiert ist, und was ich für das Leuchten der Weisheit gehalten habe, war in Wirklichkeit das Funkeln des Wahnsinns.
Als hätte es meine Gedanken gehört, hebt das Pferd plötzlich den Kopf und wendet sein linkes Ohr in meine Richtung. Dann hebt es schnuppernd das Maul. Ich sehe, wie seine Tasthaare im böigen, Sand aufwirbelnden Wind zittern. Es wiehert und dann geht die Fahrt ohne Ankündigung weiter. Ich habe kaum Zeit, mich zu setzen und die Zügel zu ergreifen, ehe wir wieder über die Ebene sausen, diesmal in südlicher Richtung. Sehr viel südlicher sogar, genauer gesagt machen wir einen Schwenk von fast neunzig Grad.
Nun werde ich wirklich skeptisch, ob das Pferd weiß, was es tut. Es galoppiert auch nicht mehr mit derselben Zielstrebigkeit, sondern verlangsamt seine Schritte immer wieder zu einem Trott und hebt das Maul. Dann schlägt es eine andere Richtung ein und prescht erneut los. Vielleicht ist es der Wind, der nun beinahe stürmisch aus verschiedenen Richtungen bläst, in einer Sekunde noch aus dem Osten, dann auf Nord und unvermittelt wieder auf Süd dreht. Das könnte erklären, warum sich das Pferd so schwertut, dem Geruch zu folgen.
Als ich den schwarzen Punkt am Himmel zum ersten Mal sehe, halte ich ihn für einen Schwarm Geier. Dann wird er größer und dunkler, und ich erkenne, dass es eine dunkle Wolke ist, die sich ausbreitet wie ein Tintenfleck. Eine ganze Flut von Wolken folgt ihr, schwarz wie das Pferd.
Sei schnell.
Der Wind peitscht mir ins Gesicht, knickt und knittert die Seiten des Tagebuchs.
»Hü!« , rufe ich und ziehe an den Zügeln. Als ob das Pferd meine wachsende Panik spüren würde, drängt es noch schneller vorwärts. Sandwehen fegen mit erstaunlicher Geschwindigkeit über die Ebene, gelbbraune Schemen wirbeln über das Land.
Sei schnell .
Intensiver denn je suche ich den Horizont ab in der Hoffnung, in dem schwächer werdenden Licht eine Bewegung auszumachen. Aber da ist nichts. Es spielt offenbar keine Rolle, wie tief wir in das Weite vordringen, die karge Platte des Landes bleibt unverändert.
»Weiter, Junge!«, brülle ich. Aber das Tier wird immer frustrierter, es bricht aus, sein Atem geht schwer, es läuft zunehmend unrund, wird langsamer und bleibt schließlich stehen. Ich springe vom Kutschbock und nehme die Kleider. Diesmal ist das Pferd noch abweisender. Es stößt mir die Kleider mit der Schnauze aus der Hand und stampft mit den Hufen auf die feste Erde. Lange wird es nicht mehr dauern, bis die Wolken die Sonne verdecken und das Land in Dunkelheit tauchen. Dann wird es noch schwieriger, die Hepra zu finden.
»Wir müssen es weiter versuchen …«
Das Pferd hebt unvermittelt den Kopf. Es hat irgendetwas gewittert. Speichelfäden hängen vor seinen Nüstern, die sich wie dunkle Augen in plötzlicher Erkenntnis weiten. Das Pferd setzt sich ruckartig in Bewegung. Gerade noch rechtzeitig kann ich ein Geländer packen und mich auf die Kutsche schwingen. Die Hepra-Kleider fallen zu Boden.
Aber die braucht das Pferd auch gar nicht mehr. Es galoppiert ohne jeden Zweifel an der Richtung los, die Hufe klappern eilig und entschlossen, als wollten sie vergeudete Zeit wettmachen, als wüssten sie, dass die dichter werdenden Wolken den Himmel zu verdunkeln drohen.
Zehn Minuten später sehe ich sie. Eine Reihe winziger Punkte, wie Ameisen. »Da drüben, Pferdchen! Da drüben!«, rufe ich, doch es braucht keine weitere Ermutigung.
Als wir die Hepra erreichen, sind sie eng zusammengerückt, bereit, sich zu verteidigen. Ich zügele das Pferd und steige ein gutes Stück entfernt von der Kutsche. Ich will mich auf keinen Fall zu schnell oder zu bedrohlich nähern.
Sie sehen müde und erschöpft aus, die Gesichter von Angst gezeichnet.
Als sie sprechen, reden sie nicht mit mir, sondern miteinander.
»Ich hab doch gesagt, wir sollen im Stall nachsehen.
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