Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
Vom Netzwerk:
genug Wasser und Nahrung für einen Monat gelagert, hieß es. Aber wie lange kann man allein in der Dunkelheit und Kälte hocken, bevor man alle Hoffnung fahren lässt? Wie lange, bevor man wegen des fortwährenden Kratzens, Klopfens und Hämmerns an der Luke in der Decke den Verstand verliert?
    Und warum hat sie das getan?
    Ich weiß, dass die Antwort offensichtlich ist, aber ich verstehe es nicht.
    Sie hat es für mich getan. Als sie sah, dass Mucki sich mit dem Sonnenumhang bis ins Hauptgebäude geschleppt hatte, wusste sie, dass ich keine Minute mehr leben würde. Sie hat das Einzige getan, das mich retten konnte.
    Ich streiche mit der linken Hand über die Kiesel und lasse ihre scharfen Kanten in mein Handgelenk schneiden. Ich beiße mir auf die Unterlippe und kann das Gefühl nicht abschütteln, dass ich etwas von entscheidender Bedeutung übersehe. Ich sollte irgendwas tun – aber was? Frustriert schlage ich in den Teich und lasse Wasser in mein Gesicht und auf meinen Körper spritzen.
    Ich richte mich auf. Was habe ich übersehen? Im Kopf spule ich die letzten Bilder von Ashley June noch einmal rückwärts ab: der Sprung in die Grube, die Flucht zur Introduktion, die Jagd die Treppe hinunter, in der Küche, wo sie einen Brief geschrieben hat, den sie in den Ofen geworfen …
    Wie elektrisiert fahre ich zusammen.
    Das war kein Ofen.
    Es war der Umbilicus!
    Ich springe auf und laufe hinüber.
    Schon aus der Entfernung sehe ich das grüne Licht über der Klappe blinken. Sekunden später reiße ich sie auf.
    Da. In der Ecke, ein kleines gefaltetes Blatt Papier.
    Beim Entfalten knittert es leicht in meinen Fingern. Eine kurze hastig, wenn nicht gar panisch hingekritzelte Nachricht.
    Gene,
wenn du das hier liest, hast du es geschafft. Sei nicht wütend auf mich. Oder auf dich selbst. Es war die einzige Möglichkeit.
Es ist okay. Du hast mir etwas gegeben, woran es sich zu erinnern lohnt, egal wie dunkel und einsam es hier unten wird, mir bleibt immer die Erinnerung, die wir teilen. Die paar Stunden, als wir

Es bleibt noch Zeit. Bring die Hepra zurück. Wenn du zurückkommst und sich alle auf sie stürzen, nutze das Durcheinander, um mich zu holen.
Bin@Intro. Warte auf dich
Sei schnell und bereite

Vergiss nie
    Und damit endet der Brief, scheinbar mitten im Satz. Am Ende hatte sie es eilig, ihre Worte kreischen mir förmlich entgegen, ohne sich um grammatische Regeln zu kümmern.
    Ich lese den Brief wieder und wieder, bis die Worte unauslöschlich und quälend greifbar in mein Gedächtnis gemeißelt sind. Ich höre ihre leise, drängende Stimme. Aber ich kann nichts machen – das muss ihr klar sein. Ich kann die Hepra nicht zurückbringen, ich habe nicht einmal eine Ahnung, wo sie sind. Und ich kann schließlich schlecht wahllos in das Weite aufbrechen und hoffen, ihnen zufällig über den Weg zu laufen. Das wäre so, als würde ich willkürlich im Wüstensand graben in der Hoffnung, eine lange verlorene Münze zu finden. Und wenn es Abend wird und ich noch hier draußen bin, ist es ohnehin vorbei.
    Ich öffne die Augen und lasse Sonne in meine Augäpfel schneiden, damit ihre grellen Strahlen die Worte in meinem Kopf ausradieren. Ich gehe zu dem Übungsgelände auf der Suche nach irgendetwas, an dem ich meine Frustration abreagieren kann, einen Speer, den ich schleudern, Dolche, die ich in die Mauer einer Lehmhütte stoßen kann. Aber ich finde nichts. Ich trete gegen Felsbrocken auf dem Boden, werfe Steine so weit in das Weite, wie ich kann. Und die ganze Zeit nagt das Gefühl an mir, dass ich irgendetwas übersehe, dass ich den Brief nicht richtig gelesen habe.
    Bring die Hepra zurück.
    Ich ignoriere die Worte und hebe weitere Steine auf. Ich gehe zurück zu den Apfelbäumen, um zu sehen, ob …
    Bring die Hepra zurück.
    »Wie soll ich das machen?«, rufe ich in die Stille. »Wenn ich nicht mal weiß, wo sie sind.«
    Sei schnell und bereite.
    Ich zerknülle das Blatt mit beiden Händen und werfe es so weit wie möglich von mir.
    Sei schnell und bereite. Ich kann ihre Stimme in meinem Kopf hören.
    Nach ein paar Minuten hebe ich das zerknüllte Blatt wieder auf, selbst genervt von meinem theatralischen Gehabe.
    Es ist von mehr Furchen durchzogen als ein zerschlagener Spiegel, Worte und Sätze zappeln darin wie Insekten in einem Spinnennetz. Ein Knick verläuft längs von oben bis unten über die Seite, direkt zwischen »sei schnell« und »bereite«.
    Ich reiße den Kopf hoch, als ich es plötzlich sehe

Weitere Kostenlose Bücher