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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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Ferne die Stadt, verdunkelt und flach. Wie ein schmutziger Tümpel.
    Vor Jahren suchten wir auf dem grünen Hügel nach Zeichen von anderen als uns: verfaulte Kerngehäuse, weggeworfene Früchte, flach getretenes Gras oder abgebrochene Äste. Aber wir haben fast nie etwas gefunden. Unsere Art war sorgsam darauf bedacht, keine verräterischen Spuren zu hinterlassen. Trotzdem bemerkte ich manchmal das unvermeidliche und deutlichste aller Zeichen: weniger Früchte an den Bäumen. Also waren auch andere hier gewesen, hatten Obst gepflückt und gegessen. Aber nie habe ich einen von ihnen gesehen.
    Einmal fragte ich meinen Vater zwischen zwei Bissen: »Warum sehen wir hier nie irgendwelche anderen Hepra?«
    Er hörte auf zu kauen und wandte den Kopf in meine Richtung. »Benutze dieses Wort nicht.«
    »Welches Wort? Hepra? Was ist denn verkehrt an …«
    »Benutze dieses Wort nicht«, wiederholte er streng. »Ich möchte dieses Wort nie wieder aus deinem Mund hören.«
    Ich war damals noch klein und Tränen schossen mir in die Augen. Er drehte sich ganz zu mir um und sog mich mit seinen großen Augen förmlich auf. Ich legte den Kopf nach hinten, damit die Tränen nicht flossen. Erst als sie getrocknet waren, wandte er den Blick ab und starrte auf den fernen Horizont, bis das Brodeln in ihm sich beruhigt hatte.
    » Menschen «, sagte er schließlich viel sanfter. »Wenn wir alleine sind, benutzen wir dieses Wort, okay?«
    »Okay«, sagte ich. Und nach einer kurzen Pause fragte ich ihn: »Warum sehen wir nie andere Menschen?«
    Er antwortete nicht. Aber ich kann mich noch an das laute Knacken und Krachen in seinem Mund erinnern, als er einen Apfel aß, während wir unter dem Baum saßen, dessen Äste schwer von reifen Früchten waren.
    Heute, Jahre später, hängen sogar noch mehr Früchte an den Bäumen, wie verschwenderische Farben im hellen Grün. Traurig, dass sie Zeichen von Tod und Ausrottung sein müssen. Und so esse ich, allein im grünen Gras, ein verlorener grauer Punkt zwischen Tupfern von Rot, Orange, Gelb und Lila.
    Der Abend der Lotterie dämmert. In jedem Haus sind Jung und Alt auf den Beinen und regelrecht aufgekratzt. Als die Nachtsirene ertönt, werden Läden und Gitter geöffnet, Türen und Fenster fliegen auf. Heute sind alle zu früh bei der Arbeit und in der Schule, wo sie schwatzen und nervös auf ihre Computerbildschirme tippen.
    In der Schule versuchen sie gar nicht erst, einen normalen Betrieb aufrechtzuerhalten. In der zweiten Stunde ruft die Lehrerin die Klasse keineswegs zur Ordnung, sondern beachtet uns einfach gar nicht, während sie auf den Monitor an ihrem Pult tippt. Nach der Hälfte der Stunde gibt es eine Ankündigung über die Lautsprecher: Weil die Produktivität in der ganzen Stadt drastisch eingebrochen ist, wird die Bekanntgabe der Lotteriezahlen um einige Stunden vorverlegt. Die Ziehung wird nun schon in wenigen Minuten live übertragen werden. »Halten Sie Ihre Zahlen bereit«, schließt der Sprecher munter – als ob nicht alle sie längst auswendig könnten.
    Sofort fällt das ganze Klassenzimmer ins Delirium. Schüler hasten zurück auf ihre Plätze und starren auf den Bildschirm an ihrem Pult.
    »Alle bereit für die Lotterie?«, fragt wenige Minuten später der Nachrichtensprecher, der vor lauter Aufregung sein gewohnt sachliches Auftreten vergessen hat. »Ich habe meine Zahlen gleich hier«, sagt er und hält einen Zettel hoch. »Vielleicht ist das heute mein Abend, ich bin schon mit so einem Gefühl aufgewacht …«
    »Wie bestimmt auch jeder andere Bürger dieser großen Stadt«, schaltet sich seine Komoderatorin ein, eine schlanke Frau mit pechschwarzem Haar. »Wir sind alle furchtbar aufgeregt. Wir schalten jetzt zum Hepra-Institut, wo die Zahlen in Kürze gezogen werden.« Sie stutzt und tastet mit einem Finger nach ihrem Headset. Ein barbarisches Glitzern flackert in ihrem Blick auf. »Wir bekommen gerade eine überraschende Nachricht. Das ist der Hammer, Leute, also nehmen Sie besser Platz.«
    Im Klassenzimmer werden Köpfe in den Nacken und wieder nach vorn geworfen. Niemand sagt ein Wort.
    »Anstatt die Zahlen vom Direktor ziehen zu lassen, hat der Palast entschieden, dass ein gefangenes Hepra die Zahlen ziehen wird!«
    Irgendjemand schnauft geräuschvoll; mehrere Schüler springen auf ihre Pulte.
    »Sie haben richtig gehört«, fährt die Moderatorin mit hörbar feuchterer Aussprache und einem leichten Lispeln fort. »Wir bekommen die ersten Livebilder …« Sie

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