Die Jaeger der Nacht
Schule. Los jetzt.«
»Vielen Dank«, sage ich. »Ich fühle mich wie der glücklichste Junge auf der Welt. Aber ich muss zu Hause erst noch ein paar Sachen holen, Kleidung.« Und meinen Rasierer, meine Bürste, Nagelschere und Reißzahn-Reiniger …
»Nein. Kleidung wird im Institut gestellt. Komm jetzt.«
Ich habe noch nie in einer Stretchkutsche gesessen, geschweige denn in einer, die von einem Hengstgespann gezogen wurde. Die Hengste glänzen schwarz und verschmelzen nahtlos mit der Nacht. Als ich mich der Kutsche nähere, wenden sie die Köpfe und identifizieren meinen Geruch. Ich steige eilig ein. Schaulustige Schüler und Lehrer strömen aus dem West- und Ostflügel der Schule, aber sie bleiben alle in respektvollem Abstand stehen, still und unbeweglich.
Durch die getönten Scheiben ist es beunruhigend dunkel in der Kutsche. Ich unterdrücke den Impuls, die Arme auszustrecken oder die Augen weiter aufzureißen. Mit gesenktem Kopf schiebe ich meinen Körper langsam vorwärts, bis ich mit dem Knie an das weiche Lederpolster des Sitzes stoße. Ich höre, wie hinter mir weitere Personen einsteigen, und spüre, wie das Polster unter ihrem Gewicht nachgibt, als sie sich setzen.
»Zum ersten Mal in einer Stretchkutsche?«, fragt eine Stimme neben mir.
»Ja.«
Niemand sagt etwas.
Dann eine andere Stimme: »Wir warten noch auf den anderen Gewinner.«
»Auch ein Schüler dieser Schule?«
Pause.
»Ja. Sollte nicht mehr lange dauern.«
Ich starre aus dem getönten Fenster und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich in der Kutsche gar nichts sehe.
»Ein paar Formulare, die unterschrieben werden müssen«, sagt eine dritte Stimme. Man hört das Rascheln von Papier, das unverkennbare Klicken eines Klemmbretts. »Hier.«
Ich blicke weiter aus dem Fenster, während ich meinen rechten Arm ausstrecke, bis ich auf das Klemmbrett stoße. »Ups, ich bin manchmal ein bisschen tollpatschig.«
»Bitte hier und hier und hier unterschreiben.«
Ich starre nach unten. Ich sehe nichts.
»Direkt neben dem X«, schaltet sich eine neue Stimme ein.
»Kann das nicht einen Moment warten? Ich bin irgendwie noch ganz überwältigt von dem Augenblick …«
»Sofort, bitte.« Die Stimme klingt fest. Ich spüre die Blicke der anderen auf mir.
Genau da geht die Tür der Kutsche auf.
»Der andere Gewinner«, flüstert irgendjemand. Ein blasses Grau fällt von draußen herein. Ich habe keine Sekunde zu verlieren. Ich senke den Blick, kann mit Mühe die drei X erkennen und kritzele meine aktuelle Kennung daneben. Die Kutsche neigt sich wegen des zusätzlichen Gewichts, aber bevor ich sehen kann, wer eingestiegen ist, wird die Tür zugeschlagen und der Innenraum ist wieder in Dunkelheit gehüllt.
Ein Knöchel stößt gegen mein Schienbein.
»Kannst du nicht aufpassen mit deinen Beinen!«, faucht eine Stimme mich an. Eine Mädchenstimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt.
»Kennt ihr euch?«, fragt jemand.
Ich beschließe, dass es am sichersten ist, mit den Schultern zu zucken und mich am Handgelenk zu kratzen, Gesten, die alles Mögliche bedeuten können.
Als Reaktion höre ich das Geräusch von kratzenden Nägeln auf einem Handgelenk. Fürs Erste bin ich sicher.
»Bitte die Papiere unterschreiben. Hier, hier und hier.«
Es entsteht eine Pause, bevor sie im Befehlston erwidert: »Da draußen sind meine Freunde. Die ganze Schule ist da. Dies ist der wichtigste Moment meines Lebens. Können Sie bitte die Fenster runterkurbeln, damit sie mich sehen können? Es wäre gut für die Schule, für die Gemeinschaft, diesen wunderbaren Augenblick mit uns zu teilen.«
Lange bekommt sie keine Antwort. Dann gleitet das Fenster nach unten und von draußen fällt graues Licht herein.
Mir gegenüber sitzt Ashley June.
Wir fahren schweigend durch die Dunkelheit, die Offiziellen verzichten auf Small Talk. An einer Ampel verstummt das Trappeln der Hufe für einen Moment. Gedämpft dringt das Rumoren der Massen zu uns herein: Knochenschnappen, Zähneknirschen, Gelenkknacken. Hunderte, wenn nicht Tausende säumen die Straßen und verfolgen unsere Fahrt.
Ashley June ist still, aber aufgeregt, das merke ich. Ihre Nackenwirbel knacken, als sie in der Dunkelheit den Kopf hin und her wirft. Hin und wieder tue ich es ihr nach und lasse ein, zwei Fingerknöchel knacken.
Ashley June und ich sind nicht zum ersten Mal zusammen in einem engen dunklen Raum. Es war vor ein oder zwei Jahren, bevor ich zu dem Einsiedler wurde, der ich heute bin,
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