Die Jaeger der Nacht
Korridor. Ashley June geht direkt vor mir. Ihr Haar ist wie eine brennende Fackel, die mir den Weg leuchtet.
Der Flur endet vor einer Doppeltür mit silbernem Wappen. Aber kurz vorher wendet sich der Offizielle an der Spitze einer Tür zu seiner Linken zu und klopft an, während die Prozession ungeordnet zum Stehen kommt. Im nächsten Moment schwingt die Tür auf.
In dem höhlenartigen Saal ist es dunkel. In der Mitte steht ein Kreis von Samtpolsterstühlen mit geschwungener Rückenlehne, angeordnet wie die Ziffern einer Uhr. Bis auf zwei Stühle sind alle besetzt. Ashley June wird zu dem ersten geführt, ich setze mich neben sie. Die Offiziellen nehmen ein paar Meter hinter uns Aufstellung und stehen stramm.
Sieben von uns hocken in dem trüben grauen Licht, die Hände auf den Knien, die Spitzen unserer Reißzähne gebleckt, und starren geradeaus. Die Jäger. Wir sitzen vollkommen reglos, als ob die Moleküle der Luft zusammengeklebt worden wären, um alles an seinem Platz zu fixieren.
Als die Offizielle erscheint, sind wir alle überrascht. Statt der militärischen Kluft trägt sie ein geblümtes Kleid, dessen lange Ärmel mit Löwenzahn- und Rosenmuster verziert sind. Anmutig schwebt sie vom dunklen Rand des Raumes in die Mitte des Kreises, wo ein Stuhl mit besonders hoher Rückenlehne langsam aus dem Boden aufsteigt. Sie wirkt schlicht und gütig, eher matronenhaft als militärisch. Sie setzt sich würdevoll auf den Stuhl, der sich weiter nach oben schraubt und sich langsam im Kreis dreht. Dabei sieht sie jedem von uns nacheinander in die Augen, mustert uns, durchdringend, aber freundlich. Als sich unsere Blicke treffen, strahlen ihre Augen vor Wärme und Wohlwollen wie die untergehende Sonne an einem Sommertag.
Als sie spricht, ist ihre Stimme sanft, aber klar. »Euch allen meinen herzlichen Glückwunsch. Jeder von euch darf eine seltene und herrliche Erfahrung machen, von der der Rest der Welt nur träumen kann.« Sie hält inne und spitzt die Ohren. »Hinterher will jeder unbedingt etwas über die Jagd hören. Ihr werdet alle Hände voll zu tun haben mit den Medien, vor allem derjenige von euch, der die meisten Hepra zur Strecke bringt.« Sie schlägt die Beine übereinander und ihr Kleid schmiegt sich an ihre Waden.
»Zu diesem Zweck haben wir ein ganzes Bündel von Aktivitäten für euch alle vorbereitet. Ihr werdet den Medien hinterher so viel zu erzählen haben. Für die nächsten paar Tage ist euer Terminplan von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang vollgestopft. Vielleicht werdet ihr unruhig, weil eure Gedanken schon bei der Jagd in fünf Nächten sind. Das verstehe ich.« Ein paar Köpfe zucken beinahe unmerklich nach hinten. Sie hält inne, und als sie weiterspricht, unterstreicht sie ihre Worte mit einer neuen Ernsthaftigkeit. »Aber bis dahin möchte ich betonen, wie wichtig es ist, dass ihr in den kommenden Nächten konzentriert bleibt. Beim Training. Lernt die notwendigen Fertigkeiten und merkt euch die kleinen Ratschläge, die wir euch geben. Denn die Hepra, mit denen wir es zu tun haben, sind keine gewöhnlichen, keine klassischen Hepra, über die ihr gelesen oder gehört habt. Diese Hepra sind anders, speziell: Sie sind ausgebildet in der Kunst des Ausweichens, sie wissen, wie man sich auf der Flucht verhält und wann es notwendig ist, zurückzuschlagen. In den vergangenen Monaten haben wir ihnen Waffen zur Verfügung gestellt, primitives Kriegswerkzeug wie Speere und Dolche, aber ihr wärt überrascht zu sehen, wie geschickt sie mittlerweile damit umgehen.
Also bleibt konzentriert. Wenn ihr anfangt, zu viel von ihrem Blut zu träumen …«, ihr Blick wird glasig, »… von dem Geschmack ihres Körpers …« Sie schüttelt den Kopf und ihr Blick ist wieder klar. »Das solltet ihr vermeiden. Konzentriert euch auf das Training, damit ihr euch selbst zum Sieg verhelfen könnt. Und vergesst nicht: Ihr trainiert nicht nur, um die Hepra zur Strecke zu bringen, sondern auch, um die anderen Jäger aus dem Feld zu schlagen. Von früheren Jagden wissen wir, dass in der Regel ein einziger Jäger die Jagd dominiert und die meisten, wenn nicht sogar alle Hepra verschlingt. Dort draußen in der Wüste gibt es kein Gemeinschaftsgefühl, kein Verteilen des Reichtums. Wenn ihr die Hepra zuerst erwischt, wollt ihr sie bestimmt als Letztes mit anderen teilen. Und wenn ihr dieser erste Jäger sein wollt, dann wollt ihr auch der Sieger sein. Also trainiert hart. Konzentriert euch. Dem Geschickten gehört die
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