Die Jaeger der Nacht
Falltür.
Hagermann senst es von der Seite um. Das Hepra krabbelt am Boden weiter wie ein flinker Käfer; Hagermann stürzt sich darauf. Sie sind etwa gleich groß, doch es ist ein ungleicher Kampf, nicht einmal annähernd ausgeglichen. Hagermann stößt seine Krallen in den Rücken des Hepra, auf dessen Hemd sich rasch ein großer Blutfleck ausbreitet.
Der Anblick versetzt die anderen Jäger in einen regelrechten Wahn. Ihre Schreie zerreißen mein Trommelfell. Nicht die Ohren zuhalten! Nicht die Ohren zuhalten! Ich tue das Einzige, was mir bleibt: Ich hebe den Kopf zur Decke und schreie. Wegen des Schmerzes, wegen des Grauens, das sich um mich herum abspielt. Mein Schrei mischt sich mit den anderen. Einen Moment lang erfüllt nur er meine Ohren und übertönt das Schakal- und Hyänengeheul. Mehr will ich gar nicht. Nur ein paar Augenblicke lang von ihren Schreien befreit sein.
Dann macht das Hepra zum ersten Mal ein Geräusch. Ein Schrei, der so ganz anders klingt als das allgegenwärtige Kreischen des Verlangens und Hungers. Es ist ein Schrei des Entsetzens, in dem schon Resignation mitschwingt. Er verfolgt mich, denn er ist die Verstärkung des Geräuschs, das schon seit Jahren in meinem Körper widerhallt.
Ich höre das Knacken von Knochen. Hagermann hat dem Hepra ein Bein gebrochen. Er spielt mit ihm wie eine träge Katze mit einer Maus, auch um die anderen Jäger mit dem Hauptgewinn zu necken, der für uns so unerreichbar ist und für ihn so unmittelbar. Das Hepra krabbelt jetzt weiter, den Blick wirr und verschwommen.
»Wirf mir das Messer zu!«, ruft Body. Sie sieht Rotlippchen an, die das von Hagermann fortgeschleuderte Messer aufgehoben hat. Rotlippchens Gesicht ist verzerrt; bis jetzt hat niemand gemerkt, dass sie an ihren Riemen säbelt.
»Wirf mir das Messer zu!«
»Das Messer – hörst du, wirf mir das Messer rüber!«, ruft jemand anders.
Hagermann reißt den Kopf hoch und sieht, was passiert. Er darf sich keine Zeit mehr lassen. In wenigen Sekunden wird Rotlippchen ihre Fesseln abgestreift haben und sich auf das Hepra stürzen. Mit einem wütenden Schrei springt er auf sein Opfer.
Rotlippchen schneidet ihren vierten Riemen durch, und noch während er sich löst, fährt sie herum und stürzt sich mit einem gepardenartigen Satz ebenfalls auf das Hepra. Sie verfehlt ihr Ziel und reißt stattdessen Hagermann von den Beinen, beide rollen von dem unvermittelt freien Hepra weg.
Verzweifelt kriecht das Hepra los und versucht die Öffnung im Boden zu finden. Seine Augen sind Tümpel von Leid und Schmerz. Es ist desorientiert und kommt in seiner Verwirrung direkt auf mich zu.
Rotlippchen und Hagermann sind wieder auf den Beinen. Sie erreichen das Hepra gleichzeitig und es wird nach vorn gestoßen – direkt auf mich zu.
Sein Kopf schlägt gegen meine Schulter, sein Körper prallt gegen meinen. Seltsamerweise umarmt es mich, klammert sich an meine Hüften. Ich werfe instinktiv die Arme nach vorn und stütze es. Hinter ihm stehen Rotlippchen und Hagermann und stoßen ihre Nägel in seine Haut, die Reißzähne gebleckt, eine Sekunde vor dem tödlichen Biss.
Das Hepra sieht auf und einen furchtbaren Moment lang treffen sich unsere Blicke. Ich werde nie erfahren, ob es die Augen aufreißt, weil ein plötzlicher Schmerz durch seinen Körper schießt oder weil es mich erkannt hat. Als Artgenossen. Als Hepra.
Als alles vorbei ist, werden die Jäger irgendwann befreit. Ein Institutsmitarbeiter weist uns mit ernster Stimme an, für den Rest der Nacht auf unsere Zimmer zu gehen. Zu dem Zeitpunkt ist bis auf die zerfetzte Kleidung praktisch nichts mehr von dem Hepra übrig.
Mein Begleiter wartet vor der Introduktion. »Zieh dich um«, befiehlt er mir mit zuckender Nase. »Du riechst von oben bis unten nach Hepra.«
Ich genieße die Offenheit von das Weite, nachdem ich mich lange nach allen anderen die endlosen Treppen bis zum Erdgeschoss hinaufgeschleppt habe. Die anderen gehen in ihre Quartiere, ich trete hinaus ins Freie, hinaus in eine Nacht voller Sterne. Von Osten weht eine Brise, die durch meine Kleider und mein Haar fährt. Ich taumele zur Bibliothek, dankbar, endlich allein zu sein. Sand weht mir ins Gesicht, doch ich spüre ihn kaum.
Auf halbem Weg breche ich zusammen.
Ich bin so ausgelaugt, dass ich nicht wieder aufstehen kann. Ich lege meinen Kopf auf den gepflasterten Pfad. Es ist der Wassermangel. Mein ausgetrocknetes Hirn schrumpelt in meinem Schädel dahin wie eine Dörrpflaume. Vor
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