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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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jährlichen Jagd. Normalerweise waren es zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Hepra, diese Zahl sank jedoch schnell auf etwa fünfzehn. Irgendwann wurden noch zehn Hepra freigelassen, dann nur noch sieben. An einem Abend, den kaum jemand vergessen hat, ließ der Palast schließlich verlautbaren: Es gebe keine Hepra mehr in Gefangenschaft des Hepra-Instituts.
Und dennoch, Gerüchte über heimliche Jagdexpeditionen wollten nicht verstummen: Geheimtreffen von hochrangigen Palastoffiziellen im Hepra-Institut, Kutschenkonvois, die in den letzten Stunden des Morgengrauens eintrafen; seltsame Klagelaute, die über das Weite hallten. Spekulationen wurden lauter, dass die Korruption »bis ganz nach oben« reichen würde.
Aber nach einigen Jahren verstummten auch diese Gerüchte.
Und am elften Tag des sechsten Mondes des vierten Jahres des 18. Herrschers wurde verkündet, dass die Hepra ausgestorben seien.
    Der Einband des Buches ist aus dunkelgrauem Lammleder und mit winzigen Furchen übersät. Er ist glatt und gebrochen und wird von zwei Doppelfäden zusammengehalten. Die Seiten mit einem Silberschnitt lassen sich mühelos blättern und knistern dabei. Tausende Seiten voller Notizen von fester und klarer Hand, allerdings nichts Originelles und ungeachtet des Titels auch kaum etwas über die Hepra-Jagd. Auf den ersten Seiten ist lediglich eine kurze Geschichte skizziert, dann wird das Thema fallen gelassen wie ein verworfener Entwurf. Der Rest des Notizbuches ist mit handschriftlichen Kopien und wiedergekäutem Material aus den Tausenden von Bänden der Bibliothek gefüllt. Lange Stammbäume, uralte Gedichte, berühmte Fabeln. Sogar detaillierte, sorgfältig kopierte Diagramme, deren Abschrift Tage in Anspruch genommen haben muss.
    Der Forscher. Offensichtlich ist er der Autor dieser Notizen. Aber warum er tausend Stunden damit zugebracht hat, nutzlos Seiten zu füllen, ist mir ein Rätsel. Ich erinnere mich daran, was die andern gesagt haben, über seine geistige Instabilität und sein mysteriöses Verschwinden.
    Und dann der Lichtstrahl, der mit der Dämmerung schwächer wird. Warum hat er sich solche Mühe gemacht, nicht nur einen Strahl zu schaffen, sondern zusätzlich die beiden Reflexionen, die auf das Notizbuch hinweisen? Es sollte gefunden werden, so viel ist klar. Aber von wem? Und warum?
    Ich will das Buch gerade zuklappen, als mir eine leere weiße Seite genau in der Mitte ins Auge fällt, eine höchst sonderbare Auslassung. Hunderte von Seiten davor und danach sind von oben bis unten vollgeschrieben, aber dieses eine Blatt ist beidseitig leer geblieben. Kein Tröpfchen Tinte. Sein strahlendes Weiß ist fast wie ein Schrei. Der letzte Satz auf der vorherigen Seite bricht in der Mitte ab und wird auf der Seite nach dem leeren Bogen an der richtigen Stelle fortgesetzt. Ich klopfe auf den Rücken des Buches und grüble verwirrt. Wie die gespiegelten Lichtstrahlen, die mich auf das Buch hingewiesen haben, scheint auch das leere Blatt eine bestimmte Bedeutung zu haben. Aber so eingehend ich es untersuche, ich kann mir keinen Reim darauf machen.
    Erschöpft lege ich mich hin. Die Luft ist stickig und drückend. Ich fasse an meinen Hals und fühle die Schweißtropfen unter meinem Kinn. Ich muss nicht mal mehr die Arme heben, um den Geruch wahrzunehmen, den ich verströme wie eine läufige Hündin.
    Mein Begleiter wird es entdecken. Wenn er mich nach der Abenddämmerung abholen kommt, wird er meinen Körpergeruch durch die Türritzen riechen. Er wird um das Haus laufen, durchs Fenster gucken, deren Läden bereits automatisch geöffnet wurden. Er wird mich in diesem Sessel sitzen sehen, träge und müde. Meine Brust wird sich von meinem schweren Atem heben und senken, meine Augen vor Angst weit aufgerissen, auch wenn ich mich dann bereits in mein Schicksal gefügt haben werde. Er wird die Gefühle deutlich in meinem Gesicht ablesen können. Und dann wird er kapieren. Er wird die anderen nicht rufen. Er wird mich für sich haben wollen. Er wird durch das Glasfenster springen – vor seinem Verlangen so brüchig wie dünnes Eis unter einem Flammenwerfer. Und noch bevor alle Scherbensplitter auf dem Boden gelandet sind, wird er sich auf mich stürzen …Aber dann kommt mir, einfach so, ganz plötzlich ein Gedanke.
    Das blendende Weiß draußen fühlt sich an wie Säure, die auf meine Pupillen tropft. Ich lasse das Licht nach und nach einsickern, bis ich, ohne zu blinzeln und zuletzt auch ohne die Augen zuzukneifen, sehen

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