Die Jaeger der Nacht
Stahlfalle, das steinerne Krachen ihrer Zähne erfüllt die stickige Luft.
Die Falltür öffnet sich erneut und wird von einem ausgestreckten Arm hochgehalten. Ein Kopf taucht auf und sieht sich spähend um wie ein Periskop. Offenbar beruhigt, steigt das Hepra hinaus und lässt die Tür für eine eventuelle hastige Flucht offen.
Einen Moment lang ist es vollkommen still. Das Sabbern verebbt, das Knacken von Wirbeln und Fingerknöcheln verstummt. Wir betrachten das Hepra mit beinahe unschuldiger Neugier. Es ist dasselbe wie im Fernsehen, zerbrechlich und schwach. Es blinzelt und mustert die verteilten Leckerbissen.
Dann stößt Ashley June einen markerschütternden Schrei des Verlangens aus. Kurz darauf jaulen und wimmern wir alle im Chor.
Unbeeindruckt von dem misstönenden Geheul geht das Hepra zu dem ersten Essenshaufen, zwei Laibe Brot, die vor Rotlippchens Pfosten liegen. Das Hepra nimmt einen Laib auf, schiebt ihn sich in den Mund und beißt ein großes Stück ab. Zielstrebig und fast geschäftsmäßig hebt es auch den zweiten Laib und wirft beide durch die offene Luke, ohne Rotlippchen, die wütend zischt, eines Blickes zu würdigen. Es macht das hier nicht zum ersten Mal. Es schlurft zum nächsten Haufen, bestehend aus mehreren Flaschen Wasser. Es dreht den Verschluss einer Flasche auf, hebt sie an die Lippen und trinkt, ohne sich lange aufzuhalten. In der Armbeuge trägt es die übrigen Flaschen zur Luke und wirft sie hinein. Dann ist es schon unterwegs zum nächsten Haufen, den Süßigkeiten. Trotz unseres Knurrens und Schreiens blickt das Hepra nicht auf, sondern kümmert sich ruhig um seine Angelegenheiten.
Es geht an den Notizbüchern vorbei, die vor Hagermanns Pfosten gestapelt sind, auf die Süßigkeiten zu. Aus den Augenwinkeln nehme ich ein mattes Glitzern an Hagermanns Gürtel wahr. Der Dolch! Hagermann zückt ihn jetzt. Die Venen seiner knochigen Hände treten hervor, als er anfängt, an seinem Lederriemen zu säbeln. Er weiß, dass er sich beeilen muss: Das Hepra hat bestimmt nicht vor, eine Picknickdecke auszubreiten, um in unserer Mitte zu speisen. Es wird einfach alle Nahrungsmittel, Getränke und die Notizbücher in seine Kammer werfen und abhauen. In nicht einmal einer Minute wird es verschwunden sein. In der Arena baut sich Wut auf, eine Explosion enttäuschter Erwartung, das Gefühl, betrogen zu werden. Ashley June stößt einen weiteren grauenerregenden Schrei aus und wirft sich mit verzweifeltem Verlangen gegen ihre Fesseln.
Hagermann attackiert seine Riemen mit zunehmendem Eifer. Er spannt den Riemen an seinem linken Handgelenk, während sein rechter Arm pumpend auf und ab fährt.
Plötzlich reißt der Riemen, einfach so, und Hagermann starrt benommen auf die beiden baumelnden Enden. Dann kapiert er es, streckt den Rücken. Aus seiner Fantasie ist eine dämmernde Realität geworden. Er beugt sich wieder vor und schneidet mit affenartiger Geschwindigkeit in die Riemen an seinen Beinen. Das Hepra ist ahnungslos. Es steht vor dem Haufen mit Süßigkeiten, packt ein Bonbon aus und lutscht es, ohne mitzubekommen, was hinter ihm vor sich geht.
Hagermann hat die beiden Beinfesseln durchtrennt, nimmt das Messer in die andere Hand und macht sich an den letzten Riemen an seinem rechten Handgelenk.
Das Hepra stutzt und legt den Kopf in den Nacken wie ein Hund, der eine Fährte wittert.
Dann bückt es sich und nimmt noch eine Süßigkeit.
Der letzte Riemen bereitet Hagermann offenbar Probleme. Vielleicht konzentriert er sich in seiner Aufregung nicht richtig oder es liegt daran, dass er die linke Hand benutzen muss. Jedenfalls ist er langsamer und das frustriert ihn. Er stößt einen verzweifelten Schrei aus, der in meine Trommelfelle schneidet.
Das Hepra zuckt zusammen und fährt herum. Es sieht Hagermann, die durchgeschnittenen Riemen, die von seinen Knöcheln und seinem Handgelenk baumeln, und begreift die Situation augenblicklich. Blitzschnell wirbelt es herum, lässt die Süßigkeiten fallen und sprintet zu der Luke im Boden. Noch fünf Schritte!
In diesem Moment schneidet Hagermann den letzten Riemen durch. Er ist ein gutes Stück von der Falltür entfernt. Das Hepra rennt mit letzter Kraft, jetzt nur noch drei Schritte vom Ziel. Doch bevor es dort ankommt, hat Hagermann es schon erreicht und reißt es mit seinem Schwung etwa zehn Meter weit von der Luke weg. Sie wälzen sich am Boden, lösen sich kurz voneinander, und das Hepra springt auf, stürzt erneut Richtung
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