Die Jaeger der Nacht
Dolche mit einem metallischen Geräusch und Funken stiebend direkt vor mir in der Luft zusammen. Sissy hat sie mit derart beeindruckender Präzision geworfen, dass ihre Flugbahnen zusammen einen perfekten Kreis ergeben haben. Aber nicht präzise genug. Sie hat ihr eigentliches Ziel, Fettwansts Kopf, verfehlt; statt sich in seine Schläfen zu bohren, sind die Dolche kollidiert und drei Meter hinter Fettwanst auf den Boden gefallen. Sie hat seine Geschwindigkeit, sein Verlangen unterschätzt.
Dann höre ich ein neues Surren. Sissy hat einen weiteren Dolch geworfen. Ich habe keine Ahnung, aus welcher Richtung er kommt, ob von rechts oder links. Panisch reiße ich den Kopf hin und her und versuche verzweifelt, ein Blitzen auszumachen. Aber ich kann ihn nicht sehen, sondern nur hören – das Surren, das die Luft zerschneidet und lauter und lauter wird.
Der Dolch trifft Fettwanst direkt am Oberschenkel. Diesmal hat Sissy ihn pfeilgerade direkt auf Fettwanst geworfen. Doch der Aufprall scheint ihn nicht zu bremsen, sondern ihm eher neue Kraft zu verleihen. Obwohl er humpelt, gewinnt er an Tempo und stürmt weiter auf das Dorf zu. In zehn Sekunden wird er es erreicht haben.
Aber Sissy ist noch nicht fertig. Immer noch im vollen Lauf nimmt sie ihren letzten Dolch und packt ihn an der stumpfen Seite der Klinge. In einer fließenden Bewegung zieht sie ihre geschlossene Hand von der Hüfte diagonal über die Brust nach oben und öffnet sie mit einem Schnappen des Handgelenks wie ein professioneller Kartengeber. Es ist der perfekte verdeckte Wurf, gleichsam eine diagonale Rückhand, die den Dolch mit Tempo und Präzision direkt auf sein Ziel zuschießen lässt. Auf uns. Ich ducke mich.
Unnötigerweise. Denn der Dolch erwischt Fettwanst vor mir und bohrt sich frontal in seine Brust. Fettwanst stutzt für den Bruchteil einer Sekunde, doch dann stößt er einen markerschütternden Schrei aus und rennt mit neuer Energie auf Sissy zu.
In diesem Moment breitet sich ein schimmernder Lichtschein über das Dorf. Die Glaswände der Kuppel werden hochgefahren! Aber zu spät. Fettwanst wird die Wand mühelos mit einem einzigen Satz überwinden. Und wenn er erst einmal innerhalb der Kuppel ist, hat er freie Hand mit den Hepra, kann sich nach Herzenslust austoben. Die Kuppel wird zur sonnigen Todeskugel werden, ein Gefängnis der Gewalt für die eingesperrten Hepra und wenig später auch für ihn. Aber ihm ist längst alles egal.
Fettwanst wird unvermittelt langsamer und stößt einen gurgelnden, geschwollenen Schrei aus. Die Sonne setzt ihm zu. Ich habe ihn fast eingeholt. Als er zum Sprung über die aufsteigende Wand der Kuppel ansetzt, stürze ich mich auf ihn und reiße ihn von den Beinen. Fettwanst landet auf dem Boden.
Als er mich ansieht, bietet sein Gesicht einen grauenhaften Anblick. Doch er verschwendet nicht viel Zeit mit mir. Für ihn bin ich bloß ein Konkurrent, ein anderer Jäger, den es beim Rennen zu dem Festschmaus zu schlagen gilt. Er verpasst mir einen Schlag mit dem Handrücken und ich taumele rückwärts. Er hingegen ist schon wieder auf den Beinen und läuft auf die sich schließende Kuppel zu.
Ich liege am Boden, alles dreht sich, ich komme nicht hoch.
Fettwanst ist deutlich langsamer geworden. Die Sonne lässt nicht nur sein Fett schmelzen, sondern auch die Muskeln. Mit einem Schrei setzt er zum Sprung über die Glaswand an.
Er scheitert komplett. Etwa auf halber Höhe klatscht sein Körper gegen die Scheibe und rutscht ab. Fettwanst rappelt sich auf, rasend ob Sissys Anblick, rasend ob ihrer quälenden Unerreichbarkeit. »Ich kann dich riechen!«, zischt er, nimmt ein paar Schritte Anlauf, stürmt erneut auf die Wand zu und rutscht wieder daran herunter. Dann klatscht er seine flachen Hände auf das Glas und zieht seinen Körper nach oben. Die klebrige Konsistenz seiner schmelzenden Haut verschafft ihm unerwarteten Halt und er hangelt sich überraschend effektiv nach oben.
Er wird es schaffen. Die Lücke an der Spitze der Kuppel schließt sich zu langsam. Wenn er drinnen auf dem Boden gelandet ist, wird er nicht mehr viel Zeit haben, bevor er sich komplett in der Sonne auflöst. Aber der Anblick, die Berührung und der Geschmack der Hepra werden ihm einen Adrenalinstoß versetzen, und er wird zumindest ein paar von ihnen erwischen, wenn nicht alle.
Sissy sieht, was passiert. Sie ruft den anderen Befehle zu, sofort verschwinden alle in den Lehmhütten. Sie sieht sich nach einer Waffe um, aber es gibt
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