Die Jaeger der Nacht
purer, ausgelassener Freude, als sie mich ansieht. Ein Lächeln spielt in ihren Augen, auf ihrer Nase und ihrem Mund, auf ihren Wangen und ihrer Stirn, schwappt ansteckend auf mich zu und erfüllt die Welt wie die Sonne. Dann bricht sie in ein süßes Lachen aus und kneift vor schierem Spaß die Augen zu.
Und dann bricht einfach so etwas aus mir heraus, das ich lange unwiderruflich verloren geglaubt hatte. Ein Lachen, kehlig und heiser, dringt durch meine eingerosteten Stimmbänder. Und mein Gesicht platzt – anders lässt es sich nicht beschreiben – wie die Schale eines hart gekochten Eis. Ein Lächeln kräuselt meine Lippen und breitet sich aus. Ich spüre, wie Stücke meiner Maske fallen wie getrocknete Farbe, die von einer Wand blättert. Ich lache lauter.
»Was war denn das?«, fragt Jacob. »Hat da gerade ein Gorilla durch seinen Mund gefurzt?«
Dann wiehern sie los, ihr Gelächter steigt auf und mein Lachen gesellt sich dazu, kehlig, heiser, sorglos und frei.
Ich verlasse die Kuppel nicht, weil ich will, sondern weil ich muss. Nicht dass sie sich gleich schließen wird, doch nachdem ich gestern nur mit knapper Not rausgekommen bin, will ich kein Risiko eingehen und habe mindestens eine Viertelstunde Luft gelassen. Außerdem muss ich zurück in meine Unterkunft, um ein bisschen Schlaf nachzuholen, zumindest die zwei Stunden, die noch vom Tag übrig sind. In den letzten paar Nächten bin ich schon auf Reserve gelaufen, deshalb besteht die akute Gefahr, dass ich bei der Gala heute Nacht zwar nicht eindöse, aber mich vor all den Kameras und anderen Gästen zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lasse: ein Gähnen, ein Stirnrunzeln, ein nicht unterdrücktes Hüsteln. Ich darf in dieser entscheidenden Phase nicht schlampig werden. Nur noch zwei Nächte durchhalten, dann bin ich wieder sicher zu Hause – vorausgesetzt, ich schaffe es, die Nummer mit dem gebrochenen Bein durchzuziehen …
Mit Essen und Wasser im Bauch kommt mir der Rückweg zur Bibliothek viel kürzer vor. Was sich auf dem Hinweg angefühlt hat wie eine Wanderung, ist jetzt kaum mehr als ein kurzer Spaziergang. Selbst mit dem zusätzlichen Gewicht von drei vollen Wasserflaschen bin ich schon halb da, ehe …
Hallo, was ist denn das?
In der Ferne bewegt sich ein Punkt. Direkt vor dem Institutsgebäude – nein, kein Punkt, sondern ein Streifen. Jemand rennt. Auf mich zu.
Ich erstarre. Kein Versteck weit und breit, kein Fels, hinter den man sich kauern könnte, nicht einmal eine Mulde im Boden. Es muss ein Tier sein, das sich in das Weite verirrt hat. Andererseits sieht man hier draußen selten wilde Tiere; die meisten haben es gelernt, nicht zu nah um das Institut zu streunen.
Ein Pferd, denke ich, es muss ein Pferd sein, das aus dem Stall ausgebrochen ist. Dann fällt mir ein, was mein Begleiter erzählt hat: Es gibt keine Pferde im Institut, weil man fürchtet, die Hepra könnten sie zur Flucht benutzen. Wenn wie zum heutigen Festbankett Gäste zu Pferd und in Kutschen eintreffen, werden die Tiere sicher im Stall eingeschlossen.
Es kommt näher, und dann erkenne ich, was es ist. Kein wildes Tier, kein Pferd. Es ist eine Person.
Ich glaube nicht, dass sie mich schon gesehen hat. Ich werfe mich flach auf den Boden, das Kinn in den krustigen Wüstensand gegraben.
Es ist einer der Jäger, der einen Ausrüstungsgegenstand ausprobiert, Sonnenumhang oder Sunblocker. Den knollenartigen Umrissen des Kopfes nach zu urteilen, wahrscheinlich den Sonnenumhang. Das muss es sein.
Und dann begreife ich, was er vorhat.
Die Hepra. Er versucht, zu den Hepra vorzudringen. Und jetzt, wenige Minuten, bevor die Kuppel geschlossen wird und die Strahlen der Sonne nicht mehr so kräftig sind, sieht er seine Chance.
In diesem Moment öffnet sich eine Tür im Erdgeschoss des Institutsgebäudes. Und etwas – jemand – stürzt heraus wie ein Rennpferd aus seiner Box. Er bewegt sich mit blitzartiger Geschwindigkeit, ein verschwommener Schemen in der Landschaft, der direkt auf das Hepra-Dorf zusteuert. Oder auf mich. Ich liege in direkter Linie.
Die Figur in dem Umhang rennt jetzt in vollem Sprint – ich sehe die pumpenden Arme, die stampfenden Beine. Aber die zweite Figur, die das Gebäude gerade erst verlassen hat, ist viel schneller. Sie hat den Abstand bereits halbiert. Nach zehn weiteren Sekunden sind beide nah genug, um sie zu erkennen.
Die Gestalt in dem Umhang ist Ashley June, ihr spitzes Kinn unter der Kapuze ist unverkennbar. Irgendetwas
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