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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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keine. Jedenfalls keine, die ihr zu diesem Zeitpunkt noch helfen könnte. Doch sie lässt den Mut nicht sinken, sondern wappnet sich für den unvermeidlichen Kampf. Selbst ein Stück entfernt, noch immer am Boden, kann ich die Furcht in ihren Augen sehen. Ihr Blick schweift umher und trifft für einen Moment durch das Glas auf meinen. Ich erinnere mich daran, wie ich sie zum ersten Mal gesehen habe, durch das Glas des Bildschirms auf meinem Pult. Es ist der gleiche Blick. Trotzig, aber voller Angst.
    Mit Tränen in den Augen kommt Ben aus einer Hütte gerannt, in der Hand eine Axt. Sissy nimmt die Axt und will ihn zurück nach drinnen scheuchen, doch er bleibt mit geballten Fäusten neben ihr stehen.
    Fettwanst hat bereits die Hälfte der sich schließenden Kuppel erklommen. Er wird es schaffen, die Kuppel –
    Mir bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Ich handle einfach. Ich springe auf und renne zu der Kuppel. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn einzuholen. Ich klammere mich an die klebrigen Flecken, die seine Haut auf dem Glas hinterlassen hat. Wie Sprossen einer Leiter.
    Über mir rutscht Fettwanst, fast schon am Scheitelpunkt der runden Öffnung, ein paar Meter ab. Er findet Halt und will wieder nach oben klettern. Dies ist meine letzte Chance. Ich springe, den rechten Arm so weit ausgestreckt, wie ich kann. Ich erwische sein Schienbein, packe seinen Knöchel und ziehe ihn ein paar Meter nach unten. Dann rutsche ich von dem Glas ab, mit einem kreischenden Quietschen, das mich bis auf den Boden begleitet.
    Ich konnte Fettwanst zwar nicht mit nach unten zerren, doch ich habe ihn zumindest aufgehalten. Ein klein wenig. Mit einem Schrei des Wahnsinns und der Verzweiflung krabbelt er auf die schrumpfende Öffnung zu, die kaum noch breiter ist als ein Kanaldeckel. Er stößt ein Bein hinein und will seinen übrigen Körper über den Rand schwingen, als …
    Er passt nicht hindurch. Er windet und dreht sich, versucht sich in das immer kleiner werdende Loch zu schrauben, doch es ist zwecklos. Er ist zu groß. Und das Loch schließt sich schnell wie eine gnadenlose Zwinge. Er kann nirgendwohin. Er sitzt, ein Bein nach innen baumelnd, auf der Kuppel, in den hellen Strahlen der Sonne.
    Die Glaswände schließen sich ganz. Seine Schreie sind furchtbar; Stille kehrt erst ein, als seine Stimmbänder schmelzen. Und dann ist er nicht mehr.
    Ich rappele mich hoch. Ich muss hier weg. Auf wackeligen Beinen laufe ich los, sinke jedoch nach wenigen Metern auf die Knie, vornübergebeugt wie ein bußfertiger Bettler. Mein Magen dreht sich und ich übergebe mich. Noch während ich trocken würge, stehe ich wieder auf und taumele weiter, stolpere über meine eigenen Füße. Ich werfe einen letzten Blick zur Kuppel: Sissy läuft, einen Arm um Bens Schulter gelegt, zurück zu einer der Lehmhütten.
    Ein paar Minuten später fühle ich mich schon besser. Auf dem Rückweg zur Bibliothek hebe ich die weggeworfenen Flaschen auf, wasche mir den klebrigen Schmutz von den Händen und spritze mir Wasser ins Gesicht.
    Ich schraube die Flasche zu und sehe den Haufen Kleider, wo Ashley June gestürzt ist. So früh herauszukommen, war ein törichtes Wagnis. Die Schutzkleidung war offensichtlich für einen Zeitpunkt gedacht, an dem die Dämmerung schon weiter fortgeschritten ist und die Sonne nicht noch volle zwei Stunden Lebenskraft hat. Ich erinnere mich, dass mein Begleiter mir erzählt hat, der Anblick und der Geruch der Hepra hätten einige Institutsmitarbeiter dazu getrieben, am helllichten Tag Richtung Kuppel zu stürmen. Ich fand das damals ziemlich unglaubwürdig, aber jetzt nicht mehr.
    Seltsam, denke ich, als ich die Kleidung betrachte. Auf dem Boden liegt nur der Sonnenumhang. Keine Spur von ihren anderen Sachen: Socken, Schuhe, Hose. Nur der Sonnenumhang. Vielleicht war sie darunter nackt wie Fettwanst? Ich gehe zu der Stelle, trete gegen den Umhang und erwarte, dass er durchgeweicht und klebrig ist. Doch da ist nichts. Kein Tropfen. Dann wird es mir klar.
    Sie ist in der Bibliothek! Irgendwie hat sie es geschafft, sich nach drinnen zu flüchten.
    Aber als ich mich umdrehe, sehe ich etwas, das …
    Mein Kinn klappt nach unten und ich reiße die Augen auf.
    Die Strahlen der untergehenden Sonne tauchen die Bibliothek, Mauern, Fensterläden und den gepflasterten Fußweg in ein Meer aus Violett und Orange. Und inmitten dieser bunten Pracht steht Ashley June. Ihre blasse Haut schimmert in den Farben der Dämmerung, die sich mit dem Rot ihrer

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