Die Jaeger der Nacht
wahre Wunder ist ihr Gesicht. Sanft und anmutig, werden dennoch die feinen Linien ihres Kinns betont. Und ihre Augen! Sie verzaubern einen, diese braungrünen Augen, das tun sie wirklich.
»Ich wünschte, das Kleid wäre ein wenig heller«, sagt sie schüchtern. »Mit mehr Grün, passend zu meinen Augen, und einem helleren Rot, das meine natürliche Haarfarbe besser betont.«
»Es ist prima.« Ich schüttele den Kopf, weil ich weiß, dass ich das besser kann. »Du siehst fantastisch aus. Das meine ich wirklich ernst.«
»Das sagst du nur so«, erwidert sie, aber ich sehe, dass sie das selber nicht glaubt.
»Ich bin erledigt. Das weißt du doch, oder? Ich werde dich vor allen Leuten die ganze Nacht lang mit großen Augen, verschwitzten Händen und hämmerndem Herzen anstarren. Du bist mein Tod, Ashley June, das bist du wirklich.«
Sie sieht mich seltsam an und eine Falte kräuselt ihre glatte Stirn.
»Tut mir leid«, sage ich, »waren das jetzt zu viele Geigen?«
»Nein, waren es nicht. Es hat mir gefallen. Aber wer ist ›Ashley June‹ ?«
Ich starre sie an. »Du.«
An dem Tag, an dem mein Vater und ich die Tagebücher und Bücher verbrannten, schlichen wir uns mit schweren Leinensäcken mittags aus dem Haus. Ich war damals noch ein kleiner Junge und weinte den ganzen Weg. Nicht laut, kein Schluchzer drang über meine Lippen. Aber aus meinen Augenwinkeln floss eine stete Spur von Tränen, und obwohl es ein heißer Tag war und der Weg ziemlich weit, trockneten diese Tränen nicht.
Wir fanden eine Lichtung im Wald. Mittlerweile schmerzten unsere Schultern vom Gewicht der Säcke, sodass wir froh waren, sie ablegen zu dürfen. Mein Vater trug mir auf, ein paar Äste und Zweige zu sammeln. Als ich zurückkam, kniete er da, das Gesicht fast auf dem Boden, wie in ein reuiges Gebet vertieft. In der Hand hielt er eine Lupe, mit der er die Sonnenstrahlen auf einen Haufen Blätter bündelte. Er sagte, ich solle mich nicht bewegen, und ich blieb wie angewurzelt stehen. Plötzlich stieg ein Rauchfaden auf, der dichter und dunkler wurde, bis schließlich eine Flamme hochzüngelte und die Blätter in der Mitte erfasste.
»Die Zweige«, sagte er und streckte seine Hand aus.
Das Feuer wuchs. Hin und wieder beugte er sich darüber und pustete hinein. Überrascht loderten die Flammen auf und spuckten Funken. Mein Vater legte zwei Äste ins Feuer und lehnte sich zurück. Das Feuer fauchte mit einer Wildheit, die mir Angst machte. Er trug mir auf, die Bücher und Tagebücher zu holen, und ich brachte sie ihm.
Lange Zeit lagen sie neben ihm. Er saß reglos da, bis mir klar wurde, dass er das letzte bisschen Willenskraft für den finalen, unwiderruflichen Akt nicht aufbrachte. Er forderte mich auf, zu ihm zu kommen, und ich hockte mich auf seinen gemütlich warmen Schoß. In der Hand hielt ich ein Bilderbuch meiner Schwester. Ich kannte jedes Bild, die Farbe jedes Hundes, jeder Katze, jedes Hauses und Kleides. Er holte tief Luft, und ich dachte, er würde noch einmal erklären, warum wir die Bücher verbrannten. Doch stattdessen begann sein Oberkörper zu zucken, als wollte er einen heftigen Schluckauf unterdrücken. Ich legte meine Hand auf seine breite Hand, spürte Muskeln und Knoten unter seiner rauen Haut und erklärte ihm, dass es okay war. Ich sagte ihm, dass ich verstünde, warum wir die Bücher verbrannten, weil wir nach dem Verschwinden von Mami und meiner Schwester nichts im Haus aufbewahren durften, das unerwartete Besucher veranlassen könnte, nach ihnen zu fragen. Ich erklärte ihm, es wäre »zu gefährlich«, benutzte die Worte, die er selbst gesagt und die ich nicht verstanden hatte. Und immer noch nicht verstand.
Ich glaube, er hatte vorgehabt, jedes Buch ein letztes Mal mit mir durchzublättern. Aber aus welchem Grund auch immer, er ließ es dann doch. Er nahm einfach ein Buch nach dem anderen und warf es ins Feuer. Ich weiß noch, wie er mir das Bilderbuch meiner Schwester aus den Händen zog. Ich leistete keinen Widerstand, doch ich kann mich an das Gefühl erinnern, wie der Einband durch meine Fingerspitzen glitt, als es mir entrissen und in die Flammen geworfen wurde. Ein unwiederbringlicher Verlust.
Eine Stunde später brachen wir auf, da war von dem Feuer und den Büchern nichts mehr übrig außer grauer Asche und sterbender Glut. Aschfahl und grau wie mein Vater, dessen inneres Feuer erloschen war. Kurz bevor wir die Lichtung verließen, lief ich noch einmal zurück, um die Säcke zu holen, die wir
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