Die Jaeger der Nacht
andere bedeutet es bloß einen Mitbewerber weniger. Es ist aber auch kein Anlass zu unverhohlenem Jubel – schließlich war Fettwanst nie eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Wenn Mucki oder Body vermisst würde, gäbe es jetzt eine große Feier.
»Es tut mir leid, euch das mitteilen zu müssen«, fährt der Institutsmitarbeiter fort, »aber da zurzeit alle Angestellten mit der Suche beschäftigt sind, werden die Vorlesungen für den frühen Abend abgesagt. Das heißt, ihr dürft euch frei beschäftigen. Aber vergesst nicht, dass in drei Stunden das Festmahl beginnt, Punkt Mitternacht. Darf ich vorschlagen, dass ihr diese Zeit für einen kleinen Schönheitsschlaf nutzt? Schließlich wollt ihr für die Kameras und anderen Gäste euer strahlendstes Ich präsentieren.«
Alle verlassen den Saal, Hagermann kommt auf mich zu. »Hast du gesehen, welche Vorlesungen abgesagt wurden?« Er beugt sich vor, um das Flugblatt in seiner Hand zu studieren. » ›Flora und Fauna von das Weite als nützliche Hilfsmittel‹ und ›Soziologische Neigungen der Hepra in einer Umgebung der Angst: Möglichkeiten, Druck zu erzeugen.‹ Weißt du noch, wie ich gesagt habe, dass das alles Quatsch ist, dass diese Vorlesungen, die Orientierungsphase, ja, sogar die Jagd selbst bloß ein Riesentheater ist?«
Ich nicke, darauf bedacht, mir meine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Ich hatte gehofft, schnell hier rauszukommen, doch er hat sich frontal vor mir aufgebaut und ist offensichtlich nicht geneigt, mich gehen zu lassen. Wenn er erst mal loslegt, kann Hagermann seine Leier ein Weilchen durchhalten. Ashley June wirft mir einen wissenden Blick zu und lehnt sich wartend an die gegenüberliegende Wand.
»Braucht es noch mehr Beweise?«, fragt Hagermann. »Indem sie die Vorlesungen einfach so, mir nichts, dir nichts absagen, ohne mit der Wimper zu zucken, gestehen sie sogar selbst ein, dass das Ganze nur Getue ist. Das alles ist bloß ein Witz.« Mit öliger Zunge befeuchtet er seine Lippen. »Sollen sie die Hepra doch einfach frei und uns von der Leine lassen.«
»Was glaubst du, was mit ihm passiert ist?«, versuche ich das Thema zu wechseln.
»Mit dem Dicken? Er ist ein Idiot. Er hat versucht, es mir nachzutun, Einfallsreichtum und Mumm zu beweisen wie ich. Was für ein Schwachkopf! Wahrscheinlich hat der Bekloppte sich mit Sunblocker eingeschmiert und ist nach draußen gegangen, weil er geglaubt hat, es würde helfen. Ich würde darauf wetten, dass die Suchmannschaften ihn – oder das, was von ihm übrig ist – irgendwo zwischen hier und der Kuppel finden.«
»Vielleicht«, sage ich unverbindlich und schweige, damit er geht. Doch das tut er nicht. »Was sollst du heute Nacht tragen?«, frage ich. Hagermann hat sich stets derart verächtlich über dieses Ereignis geäußert, dass ihn vielleicht ein damit verbundenes Thema endlich in die Flucht schlägt.
»Zu dem Festbankett?« Er schnaubt. »Einen langweiligen Frack, auf den man auch ›Belangloser alter Typ‹ drucken könnte. Und du? Irgendwas Edles, nehme ich an.«
»Wieso sagst du das?«
»Seit gestern treffen scharenweise Medienvertreter hier ein. Reporter, Fotografen, Journalisten … Diese Jagd wird von Stunde zu Stunde mehr zum Medienereignis. Hab gehört, sie rangeln schon um die Interviews nach der Jagd«, knurrt er gereizt. »Und bei der Gala wollen sie garantiert die gut aussehenden Jäger in den Vordergrund rücken. Einschließlich dir, hübscher Junge. Wahrscheinlich lassen sie dich in einem eleganten Anzug auflaufen.«
»Wohl kaum«, gebe ich zurück. Aber er hat Recht. Mein Anzug, Super 220, Kammgarn, komplett mit Seide gefüttert, hat sich angefühlt wie ein königlicher Teppich, als er mir bei der Anprobe angepasst wurde.
»Ich hab was über dich gehört.«
»Was denn?«
»Dass du einen Komplizen hast und ihr beide mit vereinten Kräften in die Jagd zieht. Das dynamische Duo, du und die Hübsche.«
»Die Hübsche?«
»Gleich dort drüben«, sagt er und zeigt auf Ashley June, die auf der anderen Seite des Raumes immer noch auf mich wartet. »Das meldet jedenfalls der Flurfunk.«
»Und wo hörst du das alles?«
»Ich hab meine Quellen«, sagt er. »Und wie ist eure Strategie?« Sein Ton ist gereizter geworden. Jetzt weiß ich, warum er mich angesprochen hat: um genau darüber zu reden. »Euch schnell absetzen und von uns anderen jagen lassen? Oder zusammen mit der Meute aufbrechen und uns mit einer allmählichen, aber systematischen Temposteigerung
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