Die Jaeger der Nacht
ich zeige in Ashley Junes Richtung. Zu meiner Überraschung bleibt eine von ihnen zurück. »Ich mache dein Gesicht«, sagt sie.
»Das glaube ich nicht«, antworte ich. Die Gefahr, dass sie einen vereinzelten Haarbalg an meinem Körper entdeckt oder mir so nahe rückt, dass sie meinen Körpergeruch wahrnimmt, ist zu groß.
»Anweisung des Direktors. Also setzen und Kopf in den Nacken.«
»Nein. Das wird nicht passieren, glauben Sie mir.«
»Nur ein bisschen Retusche. Man sieht es praktisch gar nicht.«
»Dann lassen Sie’s einfach. Hab ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
Sie starrt mich wütend an. »Dafür wirst du dich vor dem Direktor verantworten.«
»Schön. Schicken Sie ihn vorbei.«
Wut brodelt hinter den halb geschlossenen Lidern der Mitarbeiterin. Sie knallt ihren Schminkkoffer zu und geht zu ihren Kolleginnen in der Zeitschriftenabteilung. Nie im Leben wird sie es dem Direktor melden. Ihr ist nur zu bewusst, was mit den Begleitern geschehen ist. Für Verstöße werden Strafen verhängt und vollstreckt, aber nicht an den Jägern, die offenbar Immunität genießen.
Aus dem hinteren Teil der Bibliothek höre ich, wie auch Ashley June gegen das Make-up protestiert, jedoch mit weniger Erfolg. Die Mitarbeiterinnen setzen sich durch.
Ich platze herein, bereit, meine Jäger-Immunitätskarte erneut auszuspielen. Sie haben sich dicht um Ashley June geschart und bombardieren sie mit Befehlen: Sie soll sich zurücklehnen, das Haar nach hinten kämmen und aufhören, das Gesicht wegzudrehen. Alles, was ich von Ashley June sehe, sind ihre weißen Fingerknöchel, die die Lehnen ihres Lederstuhls umklammern.
»Raus.« Meine Stimme ist leise und bestimmt.
Sie fahren herum, überrascht und sichtlich verärgert.
»Das hat nicht sie zu entscheiden. Und du auch nicht.«
»Raus.«
»Dafür musst du dich vor dem …«
»… Direktor verantworten? Sorry, aber den Spruch kenn ich schon. Und jetzt raus.« Ich sehe, wie die Kleinste und Jüngste von ihnen, ein Mädchen nicht älter als ich, ihre Schminktasche packt. Sie hat Angst und tut mir einen Moment lang leid. »Hören Sie, keine Sorge. Lassen Sie einfach Schminkzeug und einen Spiegel hier; wir können uns selber fertig machen. Und jetzt raus.«
Danach leisten sie kaum noch Widerstand.
»Das war knapp«, sagt Ashley June, als die Tür der Bibliothek zufällt. Plötzlich breitet sich ein Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht aus. »Raus!«
»Was?«
»Raus!«
Ich fahre herum, weil ich denke, eine der Kosmetikerinnen würde noch in der Bibliothek herumlungern.
»Nein, du! Mach die Augen zu! Augen zu, hab ich gesagt! Und jetzt raus!«
»Was ist denn los?«
»Du sollst mich noch nicht sehen. Erst wenn ich ganz fertig bin. Los, geh schon!«
Ich blinzele. Ashley June, im Herzen durch und durch Romantikerin. Selbst nach Augenblicken der Todesgefahr.
Eine Stunde später ist sie fertig. Ich beschäftige mich derweil damit, einen der FLUN s aus seinem Koffer zu nehmen und mich damit vertraut zu machen. Die Bedienung ist simpel: eine leicht zu lösende Sicherung an der Unterseite und ein großer, runder Auslöser auf der Oberseite. Ich feuere keinen Probeschuss ab. Bei nur drei Schuss pro Waffe möchte ich keinen einzigen verschwenden.
Während ich den FLUN betrachte, schweifen meine Gedanken zu den Hepra. Ich versuche, schnell an etwas anderes zu denken, doch meine Gedanken kehren wie ein Bumerang stets zu ihnen zurück. Ich sehe sie mit einer Karte in der Hand durch das Weite wandern, mit hektischen Blicken auf der Suche nach einem Schutzraum, der nicht existiert. Dämmernde Erkenntnis und dann ein Gefühl der Unausweichlichkeit, als sie die Staubwolken in der Ferne sehen, die heranschießenden Jäger. Dann kommen die Krallen, Nägel und Reißzähne, die über ihnen zusammenstürzen wie ein Meer aus brennendem Verlangen.
Ich wünschte, ich hätte sie nie getroffen, nie mit ihnen gesprochen; sie wären in meiner Vorstellung primitive Wilde geblieben, unfähig zu der Sprache, der Intelligenz oder Menschlichkeit, die mich meiner Ansicht nach von ihnen trennte.
Das Erscheinen von Ashley June, in ihrem Kleid und mit perfektem Make-up, vertreibt solche düsteren Gedanken rasch. Sie sieht – mit einem Wort – prachtvoll aus. Beim Schnitt ihrer körperbetonten Robe wurde kein Stoff verschwendet, ein Trägerkleid aus Seidenchiffon in leuchtendem Lavarot, auf der Vorderseite mit Kristallen verziert, dazu ein geschmackvoller, dezenter Federschmuck. Aber das
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