Die Jaeger der Nacht
vergessen hatten. Sie lagen direkt neben dem Aschehaufen. Als ich mich bückte, um sie aufzuheben, blies ich aus einer Laune heraus behutsam in die Glut, wie es mein Vater getan hatte. Feine Asche wirbelte auf und wehte mir ins Gesicht. Kurz bevor ich meine brennenden und tränenden Augen schloss, sah ich inmitten der schwarzen Asche ein winziges Glimmen, rot und orange, ein Funken wiedererwachter Glut. Ein Tropfen Junisonne in einem Meer grauer Asche.
Erst Jahre später, auf einem Schulhof an einem tristen grauen Abend, habe ich jenes rote Leuchten wiederentdeckt. Es war die Farbe ihres Haars; ein Mädchen, das ich nie zuvor gesehen hatte und von dem ich nun die Augen nicht mehr wenden konnte. Als sie sich zu mir umdrehte und sich unsere Blicke über den ganzen Schulhof mit seinem Kaleidoskop wimmelnder Schüler hinweg trafen, fiel mir die rote Glut wieder ein, die in der dunklen Asche geleuchtet hatte wie die Junisonne.
Ihre Kennung ist Ashley June, dachte ich für mich.
Allein in der Bibliothek, im Licht des Mitternachtsmondes, stehe ich vor ihr und teile diese Erinnerung mit ihr.
Als wir aus der Tür der Bibliothek treten, ist die Presse komplett versammelt. Die gesamte Länge des gepflasterten Pfades bis zum Hauptgebäude ist von Reportern und Fotografen gesäumt. Allenthalben leuchten Quecksilberblitze auf, die uns aber natürlich nichts ausmachen. Ein Begleiter führt uns aufreizend langsam und lässt uns alle paar Schritte anhalten, um für eine Kamera zu posieren oder ein paar Fragen zu beantworten.
Ashley June bleibt die ganze Zeit bei mir untergehakt, ihr Handgelenk in der Beuge meines Ellbogens. Es ist ein umwerfendes Gefühl. Allein hätte ich dieses Tamtam und die geballte Aufmerksamkeit der Medien gehasst. Aber mit ihr neben mir bin ich entspannt und spüre, dass es ihr genauso geht. Das sanfte Gewicht ihres Arms auf meinem, die flüchtigen Momente, wenn sich unsere Hüften streifen, das Gefühl, den Weg gemeinsam zu gehen. Ich glaube, wir fühlen uns mit den Medien so wohl, weil wir Meister dieses Spiels von projizierter Persönlichkeit und Täuschung sind. Eine Pose, ein kurzer O-Ton, ein Bild: Das ist genau unser Ding.
»Wie ist das Training verlaufen? Fühlt ihr euch gut auf die Jagd vorbereitet?«
»Es war toll, und nun können wir es kaum erwarten, dass es losgeht.«
»Stimmt es, dass ihr beide ein Team bildet?«
»Wir sind zusammen. Das ist kein Geheimnis.«
»Welchen von den anderen Jägern haltet ihr für die gefährlichste Konkurrenz?«
Und so weiter, Fragen über Fragen.
Der normalerweise kurze Weg dauert fast eine Stunde, und nachdem wir das Hauptgebäude erreicht haben, setzt sich der Ansturm der Medien und neugierigen Gäste fort. Noch immer treffen scharenweise Besucher und Journalisten ein, in Kutschen unterschiedlicher Größe und Form; die Pferde sind verschwitzt und außer Atem, als sie zu den Ställen auf der Rückseite geführt werden.
Drinnen gibt es noch mehr Reporter und Zuschauer, die sich hinter den Absperrungen aus Samtbändern drängen. Zum Glück führt uns unser Begleiter an ihnen vorbei, ohne stehen zu bleiben. »Zum Festsaal«, sagt er mit einem nervösen Blick auf seine Uhr.
Man hat weder Kosten noch Mühen gescheut, den Hauptspeisesaal zu dekorieren. Goldene Kronleuchter hängen von hohen verzierten Decken und werfen ein dunstiges, quecksilbriges Licht über jeden Tisch. Tafelsilber mit Onyxintarsien, Porzellan aus der Ära des neogotischen Herrschers, mit Diamantsplittern besetzte Weingläser auf bestickten violetten Tischtüchern. Auf jedem Tisch steht eine Blumenvase, doppelschichtige Jade aus der Zeit der Selah-Dynastie. Hohe Fenster mit dekorativ gerafften Samtvorhängen ragen über uns auf. Die Gäste drängen sich an den Fenstern nach Osten und betrachten die Kuppel, die aussieht wie eine halbierte Murmel. Am Ende des Festsaals führt eine breite Treppe in den ersten Stock, darauf ein perfekt mittig ausgerichteter Läufer, üppig und knallrot. In der Mitte des Saales liegt eine große, freie Tanzfläche schimmernd unter den Quecksilberlampen.
Die Jäger werden auf verschiedene Tische verteilt. Als Ashley June mir ihren Arm entzieht, um sich an ihren Tisch führen zu lassen, kommt es mir vor wie eine tragische Trennung. An meinem Tisch sitzen hochrangige Palastoffizielle, deren Gattinnen mich mit nervigen Fragen bombardieren. Kellner im Smoking und Kellnerinnen mit Rüschenblusen, beladen mit Tabletts voller Fleisch, wogen herein und schwärmen
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