Die Jäger des Lichts (German Edition)
halb aufgerissen, der Einband eines Buches ragt heraus.
Ich mache einen Schritt zurück.
Plötzlich wird sie von dem anderen Schatter attackiert, in dessen Körper Glasscherben stecken. Die beiden verkeilen sich zu einem zischenden Knäuel aus Reißzähnen und Krallen.
Ich nutze die kostbaren Sekunden, um zu Sissy zu laufen. Sie hat die Augen geschlossen und murmelt vor sich hin. Ich nehme sie in beide Arme und renne los, ohne die Geräusche des Kampfes zwischen Ashley June und dem anderen Schatter zu beachten. Ich ignoriere die Müdigkeit in meinen Beinen, als ich über die Wiesen auf der anderen Seite des Dorfes laufe, und den Anblick des langsam anrollenden Zuges. Ich ignoriere das näher kommende, donnernde Getrappel der Horde aus Krugmans Büro, die rasch zu mir aufschließt. Und vor allem ignoriere ich die pulsierende Hitze, die Sissys Körper ausstrahlt, den Schweiß, der über ihre Stirn strömt, ihr aschfahles Gesicht. Ich ignoriere, dass sie angefangen hat, sich zu verwandeln. Hier in meinen Armen.
Ich stoße Laute aus, die Jahre, mein ganzes Leben lang ungehört in mir geschlummert haben. Abgewürgte gurgelnde Schmerzensschreie brechen aus mir heraus wie eine Flut der Wut, zahlreicher als die Tränen, die über mein Gesicht strömen, ätzender als die Säure, die die Muskeln in meinen Beinen verkrampfen lässt.
Der Boden unter meinen Füßen wird weicher und welliger. Ich finde keinen festen Halt mehr und breche taumelnd zusammen, weil ich keinen einzigen Schritt mehr laufen kann, weil das ewige Rennen und Fliehen schließlich den letzten Tropfen Kraft aus mir herausgepresst hat. Ich sinke ins Gras. Genug. Es ist genug. Ich bette Sissys fiebrige Stirn auf meine Brust und starre zu den Sternen am Himmel hoch. Ich spüre, wie der Boden unter mir bebt. Ich höre siekommen, sie sind schon so nah. Fußgetrappel, Rufe, schrille, hysterische Stimmen.
Dann werden meine Arme und Beine gepackt, und ich werde in Stücke gerissen.
Nein, nicht in Stücke. Stattdessen werde ich hoch gerissen, Hände in meinen Achselhöhlen versuchen, mich auf die Beine zu zerren.
»Gene! Steh auf! Steh auf!«
Über mir schweben die Gesichter von David und Jacob. Sie haben Sissy aufgehoben und tragen sie fort. Weitere Schritte nahen, Epap, der meinen Arm über seine Schultern zieht. »Du musst mir helfen, Gene. Ich kann dich nicht ganz allein tragen. Lauf, verdammt noch mal! Der Zug fährt los!«
Das tue ich, so schnell ich kann. Aber ich bin unendlich erschöpft. Am Bahnsteig komme ich kaum die Stufen hoch. Der Zug ist schon halb aus dem Bahnhof gerollt und fährt langsam davon. Ich sehe, wie David und Jacob in einen Waggon steigen und Sissy auf den Boden legen. Der Zug nimmt Fahrt auf. Epap und ich müssen rennen. Hinter uns ertönt ein wütender Schrei. Ich werfe einen verstohlenen Blick zurück. Etwa ein Dutzend Schatter ist der Meute enteilt und wird uns in spätestens zehn Sekunden einholen.
Jacob springt aus dem letzten Waggon und läuft zu Epap und mir zurück. Auch er legt einen meiner Arme um seine Schultern und schleift mich vorwärts. »Los, komm, Gene, hilf uns!«
»Lasst mich fallen«, sage ich. »Es ist zu spät.« Ich habeRecht, und sie wissen es. Wir werden es nie bis zum Zug schaffen, nicht mit der Last meines Gewichts; die Schatter werden uns vorher einholen.
Plötzlich lässt Jacob mich los und rennt vor. »Lauft weiter, nicht stehen bleiben, steigt in den Zug!«, ruft er. Und dann hebt er einen der Schläuche auf dem Bahnsteig auf. Während wir an ihm vorbeirennen, schaltet er den Generator ein. Der erwacht summend zum Leben, und ein dicker Wasserstrahl schießt aus dem Schlauch.
Jacob richtet ihn auf die auf den Bahnsteig springenden Schatter. Der Strahl trifft ihre missgebildeten Körper und löst sekundenschnell das durch vorherige Sonneneinstrahlung halb geschmolzene Fleisch von ihrem Skelett, bevor er ihre Knochen pulverisiert. Die Schatter verschwinden in einem feuchten Dunst aus Fleisch und Knochen. Jacob lässt den Schlauch fallen und rennt uns hinterher.
Doch dann stolpert er über einen anderen Schlauch und schlägt lang hin.
Ein Trio von Schattern springt die Stufen hinauf und wird ihn jede Sekunde erreicht haben.
» NEIN !«, brüllt Epap und lässt mich auf den Bahnsteig fallen. Noch im Sprung über eine Kiste greift er den nächsten Schlauch. Die drei Schatter haben sich bereits über Jacob gebeugt und ihre Reißzähne mit vor Entzücken flatternden Augenlidern in seinen Hals und seinen
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