Die Jäger des Lichts (German Edition)
scheint mich staunend anzulächeln.
Silbernes Licht blitzt auf. Sissy hat einen Dolch aus dem Gürtel gezogen und geworfen. Auf den Schatter.
Es ist ein Volltreffer. Der Dolch verschwindet im Brustkorb des Jägers.
Und schießt, nachdem er auf wenig Widerstand gestoßen ist, auf der anderen Seite wieder heraus.
Der Schatter stutzt. Er weiß buchstäblich nicht, was ihn getroffen hat. Er wirkt nur leicht überrascht wie von einem plötzlichen peinlichen Rülpser. Und ebenso unbeeinträchtigt. Er fixiert mich mit grimmigem Blick und nimmt die Verfolgung wieder auf.
Ein weiterer Lichtblitz, ein weiterer Dolch, der auf das Gesicht, die Augen des Jägers zielt, um ihn zu blenden und zu erledigen.
Doch der Schatter sieht den Dolch kommen. Er neigt den Kopf zur Seite, und das Messer schießt an ihm vorbei. Aber durch die Bewegung kommt er aus dem Gleichgewicht. Er versucht schwankend Halt zu finden, und in diesem Moment wirft Sissy einen weiteren Dolch, der das Bein des Schatters aufschlitzt. Er blinzelt einmal, zweimal, als er die Balance verliert. Mit wild rudernden Armen stürzt er in die Tiefe, sein Schrei verstummt erst, als er auf die Wiese klatscht.
Wenig später schweben Sissy und ich ins Dorf. Hier verläuft das Kabel niedriger und beinahe parallel zum Boden, sodass die Landung sanft ist. Und keine Minute zu früh, denn ich habe das Gefühl, dass mir jeden Moment die Arme abfallen.
Die Angriffe auf das Dorf sind heftiger geworden. Schreie ertönen aus Ecken und Hütten, feuchtes Schmatzen dringt aus der Dunkelheit.
»Der Zug fährt jeden Moment los«, flüstert Sissy. »Wir müssen uns beeilen.«
»Drück dich an den Mauern entlang«, sage ich, »und press die Arme fest an den Körper. Von schwingenden Bewegungen werden sie angelockt.«
Schreie dröhnen in unseren Ohren. Die Hauptwege meidend laufen wir im Zickzack durch Gassen und enge Gänge zwischen den Hütten. Plötzlich bleibt Sissy stehen.
»Was ist los?«, frage ich.
Sie späht hinter einer Häuserecke hervor auf den Dorfplatz. »Wir können auf dieser Seite bleiben und die Straße hundert Meter weiter überqueren, wo sie deutlich schmaler ist. Oder wir rennen einfach quer über den Platz, allerdings sind wir dann sehr viel sichtbarer und ungeschützter.«
»Wir haben keine Zeit«, sage ich. »Der Zug fährt jeden Moment ab. Wir überqueren den Platz hier. Kopf runter.«
Geduckt huschen wir über das Pflaster, bis Sissy auf halber Strecke wie angewurzelt stehen bleibt und die Straße hinunterstarrt.
Ich wende langsam den Kopf. Ein Stück die Straße hinunter, kaum größer als ein heller Fleck, steht ganz in Weiß gekleidet und in bleiches Mondlicht gehüllt eine Person. Sie sieht aus wie eine Marmorstatue. Noch bevor ich ihr Gesicht erkennen kann, weiß ich, wer es ist.
Es ist Ashley June.
43
Ihr orangerotes Haar umhüllt ihren weißen Körper wie ein Vorhang aus Feuer. Ihre Augen sind wie zwei funkelnde grüne Diamanten und durchbohren mich mit ihren Blicken. Sie kommt langsam auf uns zu. Auf allen vieren.
Sissy packt meine Hand und will mich weiterziehen. Doch ich bleibe unbeweglich stehen. Dafür ist es zu spät.
»Lauf du«, flüstere ich Sissy zu.
»Nein.« Sie bleibt neben mir stehen und hält immer noch meine Hand.
»Lauf.«
»Nein.« Sie fasst meine Hand fester.
Ashley June schlendert auf uns zu, entspannt wie ein Gepard im Zoo, der an einem heißen Sommerabend träge in seinem Käfig auf und ab läuft. Doch ihre Augen brennen vor Begehren. Auf den Rücken hat sie einen kleinen Beutel geschnallt.
Dreißig Meter entfernt stellt sie sich auf die Hinterbeine, ein Bündel angespannter Muskeln und Kraft. Sie reißt dieArme hoch und läuft los, wühlt mit den Krallen den Boden auf und stößt ihren langen schlanken Körper nach oben und vorn. In ihren bohrenden Blicken liegt ebenso viel Besessenheit wie Verzweiflung.
»Ich bin’s!«, rufe ich. »Ich bin’s!«
Doch in ihren Augen blitzt kein Wiederkennen auf. Sie bremst nicht ab, sondern läuft in vollem Tempo auf mich zu, die Lippen zurückgezogen, die Fangzähne gebleckt.
Sissy greift instinktiv nach einem Dolch in ihrem Gürtel. Aber auch dafür ist es zu spät.
Ashley Junes Arme und Beine verschwimmen in einer fließenden Bewegung. Noch zehn federnde Schritte, und sie ist an meiner Kehle.
»Ashley June!«, rufe ich.
In ihren Augen blitzt etwas auf. Sie wirft heftig den Kopf in den Nacken. Wieder treffen sich unsere Blicke, und in ihr regt sich der Hauch eines
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