Die Jäger des Lichts (German Edition)
Zweifels. Sie bleibt stehen. Dickflüssige, zähe Speichelfäden hängen von ihren Mundwinkeln fast bis auf die Pflastersteine. Sie legt den Kopf schief und runzelt die Stirn.
»Ich bin’s, Gene«, sage ich.
Sie betrachtet mein Gesicht, als versuche sie, es irgendwo unterzubringen. Ihr Blick wird weicher. Ihre Lippen zittern. Sie fängt an, sich zu erinnern.
»Ashley June.« Trotz meiner Angst spreche ich zärtlich. Und schuldbewusst.
Ein tiefes Knurren dringt aus ihrer Kehle. Sie tritt mit denFüßen auf der Stelle. Dann leuchten ihre Augen auf, und es durchfährt sie wie ein Blitz. Sie erinnert sich an mich und wischt sich plötzlich verlegen die Speichelfäden ab.
»Gene?«, flüstert sie schüchtern und mädchenhaft.
Ich zucke zurück. Der Widerspruch zwischen ihrem Raubtierkörper und dem sanften Hauchen, mit dem sie meinen Namen ausspricht, ist beinahe zu viel für mich. Ich wende den Blick ab. Sie erhebt sich langsam auf zwei Beine, als wolle sie ihre Menschlichkeit wahren, während in ihr ein Kampf tobt, weil sie sich gleichzeitig mit jeder Faser ihres Körpers auf mich stürzen möchte. Das sehe ich an dem Speichel, der immer noch von ihren gezückten Krallen tropft. Sie wischt sich noch einmal den Mund ab. Und dann entdeckt sie etwas.
Meine Hand, die Sissys Hand hält. Ashley Junes Blick wandert an dem Arm nach oben und trifft auf Sissys. Es ist, als hätte sie sie erst in diesem Moment bemerkt.
Sofort lässt sie sich wieder auf alle viere fallen, ihr Körper und ihre Augen werden hart wie Stein. Sie schüttelt den Kopf, Speichelfetzen fliegen und bleiben in ihrem Haar kleben. Bebend vor Energie geht sie in die Hocke und gibt ihrem animalischen Drang nach.
Dann fliegt sie auf uns zu wie ein kraftvoll geworfener Pfeil. Die schlanken, festen Muskeln an ihren Armen und Beinen treten hervor, als sie sich auf uns stürzt.
Auf Sissy.
Sie reißt sie um und springt auf ihren am Boden liegenden Körper. Ich werde ebenfalls umgestoßen. Als ich mich wieder aufgerappelt habe, drückt Ashley June Sissy zu Boden und hat die Reißzähne schon tief in deren Hals gegraben, sodass nur noch ihr blutverschmiertes Zahnfleisch zu sehen ist. Ihr Blick streift mich träge, während sie saugt und saugt und saugt.
Sissy versucht, sich ihrem Griff zu entwinden, doch ihre Arme sind wie festgenagelt. Sie strampelt hilflos und zunehmend kraftlos mit den Beinen. Ashley Junes flammend rotes Haar ist über Sissys Körper gebreitet, wie gespreizte Finger, die sie besitzen wollen.
» NEEEIIIN !«, brülle ich und stürze mich mit aller Kraft auf Ashley June.
Sie wischt mich mit einem Hieb beiseite. Ich spüre, wie die Krallen meine Schläfe aufkratzen, jedoch keinen Schmerz. Der wird später kommen. Ich fliege durch die Luft, der Boden unter mir dreht sich wie ein Kreisel. Die Wucht des Schlages raubt mir den Atem. Ich erhebe mich unsicher, falle wieder hin und krieche schließlich auf Sissy zu.
Ashley Junes Blick gleitet über meine Schulter hinweg.
Aus einer dunklen Hütte ist ein weiterer Schatter getreten, sein Blick verzückt vor Verlangen, als er mich ins Fadenkreuz nimmt. Er krabbelt geduckt vorwärts wie eine Krabbe, seine Arme und Beine piksen in den Boden wie Scheren.
Ashley June hebt ihren Kopf von Sissys Hals, Blut tropft von ihrem Kinn. Sie knurrt den anderen Schatter an.
Der beschleunigt im Bruchteil einer Sekunde vom Krebsgang in den Pumasprint und rennt los. Auf mich zu.
Als er über die bewusstlose Sissy springt, streckt Ashley June die Hand aus und packt ihn an seinen langen wehenden Haaren, die hörbar mit der Wurzel aus der Kopfhaut gerissen werden. Der Schatter überschlägt sich und kracht auf den Boden. Bevor er wieder auf die Beine kommt, kauert Ashley June schon über ihm und zeigt ihm knurrend ihre langen messerscharfen Zähne. Der Schatter knurrt zurück, die Brauen wütend zusammengezogen. Aber auch ängstlich. Er schnappt nach Ashley June.
Sie wirft den Kopf in den Nacken, um einem Aufeinanderprallen ihrer Zähne auszuweichen, und schleudert den Schatter mit einer kraftvollen Bewegung quer über den Platz. Er trudelt durch die Luft und kracht mit dem Oberkörper durch das Fenster einer Hütte. Seine Beine schlagen gegen die Seitenwand und bleiben zuckend in der zerborstenen Scheibe hängen.
Ashley June wendet sich mir zu. Ihre Brust bebt. Ihre smaragdgrünen Augen sind klar und wild, doch ihr Blick ist weicher geworden, und darin liegt ein fragender Schimmer der Sehnsucht. Ihr Beutel ist
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