Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
ihn in Erwartung einer Entschuldigung an.
Ein Schmunzeln spielte um seinen Mund und die Augen. Kleine Lachfältchen in Fächerform zeigten sich für einen kurzen Moment. „Zu neunzig Prozent ist er schlecht, Miss Ada,“ erwiderte er.
Pfff! Auf eine Entschuldigung konnte ich wohl lange warten. Entsetzt sprang ich von dem Stuhl auf. „Was? Sie bewerten meinen Musikgeschmack nur mit zehn Prozent für gut?“, fragte ich ihn empört und stemmte die Hände in die Hüften. Der Ärger war nur gespielt. Ich hoffte auf ein paar Mitleidsprozente.
„Nun gut. Vielleicht sind es auch zwanzig Prozent, die für Sie sprechen,“ revidierte er seine vorherige Aussage.
Meine Taktik funktionierte also. Ich hatte immerhin zehn Prozent mehr erhalten. In der Sprache des Paters war das ein ziemliches Lob.
42. Ein verlorener Kampf
„Hübsche Blumen haben Sie hier.“ Die Stimme des Reporters riss mich aus meinen Gedanken. Mein Kopf zuckte kurz, und ich sah ihn erstaunt an. Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder im Hier und Jetzt eingefunden hatte und begriff, dass er sich über die Plastikpflanzen lustig machte. Normalerweise kümmerte ich mich darum, dass die Blumen aus meinem Garten für etwas Farbe und Frische in den dunklen unterirdischen Räumen sorgten. Im Winter war dies natürlich nicht möglich, aber sobald die ersten kräftigen Blüten sprossen, schmückten die verschiedensten Sträuße unser Heim. In meiner Anfangszeit hatten noch leere Gläser als Vasen herhalten müssen. Aber irgendwann hatte ich es satt gehabt, dass mir zwischen den Blumen immer ein Hauch von Gewürzgurken oder Rotkohl in die Nase stieg. Pater Michael hatte sich deswegen nie beschwert, aber Männer sind in solchen Dingen wohl nicht so empfindlich. Ich nervte ihn - dabei hatte er mich als „äußerst penetrant“ bezeichnet; ist das zu fassen? - aber so lange damit, dass er sich einfach einverstanden erklären musste, ein paar Vasen zu organisieren, und nun hatten wir eine ganz ansehnliche Sammlung. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, damit ich nicht vergaß nach meinem Blumenbestand zu sehen und so bald wie möglich meine Runde zu laufen, um den Frühling in den Gemäuern zu verteilen. „Etwas anderes gedeiht hier einfach nicht,“ erklärte ich dem Reporter hinsichtlich seiner Bemerkung und zwinkerte ihm zu. Er schmunzelte nur leicht über meinen Witz.
Wir verließen diesen Teil meines Zuhauses und gingen in den medizinischen Raum. Der Reporter war über die dortige Ausstattung überrascht. Man konnte zwar keine großartigen Operationen durchführen, aber für die Wunden, die man sich in meinem Beruf des Öfteren zuzog, langte es allemal. Alles strahlte blitzblank unter dem grellen Licht, das ich noch aus Krankenhäusern kannte. Die Vitrinen an den Wänden waren gefüllt mit Einmalhandschuhen, Skalpellen, Nadel und Faden für Schnittwunden, Pflaster, sterilen Mullbinden und Kompressen und Injektionskanülen. Wir hatten ein Desinfektionsgerät und einen Sterilisator. In der hintersten Ecke stand ein kleiner Kühlschrank, in dem sich Medikamente befanden, wie Antibiotika und Injektionslösungen. Auf der Patientenliege lag ein Blutdruckmessgerät und ein Stethoskop. Neben der Liege stand ein Schrank, von dem ich wusste, dass darin etliche Pillen und Wässerchen lagerten, die man so brauchte. Angefangen bei A wie Aspirin bis Z wie Zahnschmerztabletten. Es gab sogar ein Röntgengerät. Ich hatte es bisher nur einmal gebraucht, um festzustellen, ob ich mir nach einer wilden Hetzjagd meinen Fuß gebrochen hatte. Und wenn es ganz dicke kommen sollte, stand ein Defibrillator bereit. „Wer sich so etwas einfallen lässt!“, bemerkte Mister Meyers an meiner Seite. Er wirkte fassungslos, aber auch beeindruckt.
„Nun, wie sagte Pater Michael doch einmal zu mir? Auch die Kirche muss mit der Zeit gehen und kann sich nicht auf ewig den Neuerungen, die die Jahre mit sich bringen, verwehren. Tja, und wie Sie sehen, wurde auch hier nach und nach alles auf den neuesten Stand gebracht. Für alle Fälle,“ entgegnete ich ihm.
„Der Pater muss gut ausgebildet worden sein, wenn er sich hier als „Arzt“ betätigt,“ sagte er und blickte mich fragend an.
„Er muss es sein! Er ist der Einzige, der mir helfen kann, wenn es notwendig ist. Und bis der Notarzt hier ist, vergeht eine Weile,“ antwortete ich mit einem Schulterzucken. „Abgesehen davon, was würden Sie mit Ihrer Zeit anfangen, wenn Sie unendlich viel davon hätten?“,
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