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Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Zu seinem Leidwesen jedoch kann er mich ebenso wenig vernichten wie ich ihn.«
    »Wie ist es passiert?« Dieses Mal zielte die Frage nicht darauf ab, Zeit zu schinden. Sie wollte die Antwort tatsächlich hören.
    »Andrej hat einer jungen Frau Gewalt angetan. Sie war die Enkeltochter eines alten Kräuterweibs. Er nahm sie gegen ihren Willen. Die Schmach war zu viel für sie. Sie öffnete sich die Adern und starb. Noch in derselben Nacht suchte Andrej ihre Großmutter auf. Er fürchtete, die Alte könne jemandem erzählen, was ihrer Enkelin zugestoßen war. Das hätte ihn in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht.«
    »Hat er …?«
    »Er hat sie umgebracht. Noch im Sterben verfluchte sie ihn.« Sein Blick war jetzt auf einen Punkt weit in der Vergangenheit gerichtet. »Ich verfluche die Saat der Lenden Bogdan Mondragons« , zitierte er. »Tot sollt ihr sein und dennoch ohne Frieden! Ewig wandeln und nach dem Blut der Lebenden dürsten. Einsam …«
    »Auch Sie sind die Saat von Bogdan Mondragons Lenden!«
    »Ich nehme an, das hat sie bewusst in Kauf genommen. Sie konnte Andrej und mich nie wirklich auseinanderhalten. Vermutlich wollte sie einfach sichergehen, dass es den Richtigen traf. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie dem Tode nahe und ihr Verstand bereits so umnebelt war. Womöglich konnte sie ihren Fluch nicht mehr eindeutiger formulieren.« Er zuckte die Schultern. »So oder so, ihr Fluch verfehlte seinen Zweck. Statt sich zu grämen und um Erlösung zu flehen, fand Andrej Gefallen an seiner neuen Existenz. Was als Strafe gedacht war, wurde für ihn zum Geschenk.«
    Alexandras Blick hing an Lucian Mondragons Gehrock. Der Stoff hatte dasselbe Blaugrau wie seine Augen. Lucian hatte ihr Leben gerettet. Der Unendliche hingegen hatte ihr die Familie genommen. Die beiden Brüder waren so verschieden wie Tag und Nacht. Und doch glichen sie einander aufs Haar. Obwohl sie inzwischen überzeugt war, dass hier nicht der Unendliche seine Geschichte offenbarte, sah sie, wenn sie Lucian Mondragon anblickte, den Mörder ihrer Familie. Seine Augen waren die Augen des Monsters, das über dem Leichnam ihrer Mutter kniete. Dennoch zwang sie sich ihn anzusehen. »Für Sie war es die Strafe, die es für Ihren Bruder hätte sein sollen.«
    Lucian erwiderte ihren Blick. »Ein grauenvoller Schmerz ließ mich mitten in der Nacht erwachen. Ich weiß noch, dass ich schrie und mich vor Pein wand. Ich konnte nicht atmen – ich brauchte nicht zu atmen! Mein Herz schlug nicht mehr und mein Leib war kalt. Durst quälte mich, doch ich wollte weder Wasser noch Wein. Mich dürstete nach Blut.«
    Obwohl er seine Qualen durchaus eingängig beschrieb, heischte er mit keinem Wort, keinem Blick und keiner Geste um Mitleid. »Stundenlang kauerte ich in einer Ecke und kämpfte gegen den Drang an, meiner Familie die Zähne in den Hals zu schlagen. Noch vor Tagesanbruch verließ ich mein Elternhaus und kehrte nie wieder zurück. Zu groß war meine Sorge, ich könne ihnen etwas antun. Jahrzehntelang lebte ich in den Bergen, ernährte mich von verirrten Wanderern und von Tieren – ich war selbst ein Tier. Ich hatte meine Kraft und meine Fähigkeiten nicht unter Kontrolle. Eine nicht zu beherrschende Blutlust trieb mich an.«
    Beinahe glaubte Alexandra ein Spiegelbild der einstigen Gier in seinen Augen zu erkennen. Doch seine Miene war nahezu ausdruckslos. »Eines Tages stieß ich auf Andrej. Meine anfängliche Freude, ihn zu sehen, verflog rasch. Sein Verhalten, die Freude am Töten … es war, als würde ich mich selbst in einem Spiegel betrachten; eine abstoßende, widerwärtige Kreatur. Die Begegnung mit ihm hat mich wachgerüttelt. So wollte ich nicht sein! Ich zog weiter – ohne ihn. In der folgenden Zeit lernte ich meine Fähigkeiten zu kontrollieren. Es dauerte lange, doch schließlich gelang es mir, die Lust nach Blut zu bezwingen.«
    »Aber wie …?«
    »Ich ernähre mich vorwiegend von Tieren.«
    »Vorwiegend«, echote sie.
    »Nicht immer ist ein Tier in der Nähe, das groß genug ist meinen Durst zu stillen.«
    Alexandra sprang auf. »Sie widerwärtiges Scheusal!«, fuhr sie ihn an. »Sie sprechen über Menschenleben, als ginge es um eine Pastete oder ein Stück Braten! Das ist abartig!« Sie ertrug es keinen Augenblick länger, diese blutgierige Bestie anzusehen. Mit einem schnellen Schritt war sie an ihm vorbei auf dem Weg zur Tür. Sie rechnete damit, dass er aufspringen und sie aufhalten würde, doch er rührte sich nicht vom

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