Die Jaegerin
Fleck.
»Andrej hat auch meine Eltern getötet«, erklang seine Stimme hinter ihr, gerade als sie nach dem Riegel griff.
Alexandra ließ die Hand sinken. Ihr Blick war auf die Tür gerichtet, doch was sie sah, war nicht die raue Holzoberfläche, sondern ein Paar tiefblauer Augen. Der Leichnam ihrer Mutter. Der gebrochene Blick des Vaters. Überall Blut. Viktor. Dein Blut ist sein Geschenk an mich. Die Narbe an ihrem Hals pulsierte im Herzschlag der Erinnerung. »Warum sind Sie bei ihm?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
»Ich habe Jahrhunderte ohne ihn verbracht, dennoch war er, wo immer ich auch hinkam, auf eigenartige Weise präsent. Überall kursierten Geschichten über den Unendlichen und seine Taten. Ich kann all das nicht länger ertragen. Das muss ein Ende haben!« Jetzt bewegte er sich doch. Alexandra spürte, wie er näher kam und hinter ihr stehen blieb. Als sie sich noch immer nicht umwandte, legte er eine Hand auf ihre Schulter. »Sie mögen mich für ein Monster halten«, sagte er sanft, »aber ich versichere Ihnen, dass mir das Töten keine Freude bereitet. Ich habe mir nicht ausgesucht, was ich bin. Wenn ich die Wahl hätte …« Er schüttelte den Kopf. »Ja, wenn es sein muss, töte ich Menschen. Aber ich spiele weder mit meinen Opfern noch zelebriere ich ihren Tod. Und niemals habe ich auch nur einen einzigen als Vampyr ins Leben zurückgeholt.«
Endlich fand Alexandra die Kraft, sich umzudrehen. Die Sachlichkeit, mit der er über sein Dasein sprach, war erschreckend. Zugleich gab ihr gerade diese Ruhe das Gefühl, dass er sich unter Kontrolle hatte – zumindest im Augenblick.
»Sie haben gesehen, was passiert ist, als Sie mir den Silberdolch ins Herz gestoßen haben.«
»Es ist nichts passiert«, knurrte sie verdrossen.
»Nicht anders wird es bei Andrej sein.« Lucian führte sie zur Wand zurück. Erst nachdem sie sich wieder gesetzt hatte, sprach er weiter: »Ich werde Ihnen helfen, Alexandra. Aber ich werde nichts tun, was meine Position gefährden könnte, solange wir nicht eine absolut sichere Möglichkeit haben, ihn zu vernichten.«
»Ihre Position!«, schnappte sie. Zweifelsohne war der Unendliche im Laufe der Jahrhunderte zu einem beachtlichen Vermögen gekommen und hatte in gewissen Kreisen durchaus Einfluss erlangt. »Macht und Geld sind etwas Großartiges, nicht wahr? So etwas gibt man nicht gerne auf!«
»Ebenso wenig wie die Möglichkeit, in Andrejs Nähe zu sein und dabei sein Vertrauen zu haben. Das macht es einfacher, ihn zu töten, finden Sie nicht auch?«
»Ich …« Sie hatte ihm unrecht getan. Dennoch wollte ihr keine Entschuldigung über die Lippen kommen. Unrecht oder nicht, dieser Mann war noch immer ein Vampyr! Ein seelenloses Monster, das Tod und Verderben über die Lebenden brachte!
»Quälen Sie sich nicht«, sagte er in die entstandene Stille hinein. »Sie jagen Vampyre. Sie hassen uns – und das mit Recht. Ich kann wohl kaum Ihr Vertrauen erwarten. Aber ich will Ihnen etwas geben, das Sie womöglich davon überzeugt, mir glauben zu können.«
»Das dürfte schwierig werden.«
Ein amüsiertes Grinsen huschte über sein Gesicht. In diesem Moment erinnerten seine Züge nicht länger an das finstere Antlitz des Unendlichen. Doch er wurde rasch wieder ernst. »Wissen Sie, warum Andrej in Edinburgh ist? Er ist hier, weil er nach dem einzigen Gegenstand sucht, der ihn vernichten kann. Er will ihn finden und zerstören, ehe ihm jemand damit gefährlich werden kann.«
»Unsinn!«
»Unsinn?« Lucian zog eine Augenbraue in die Höhe. »Sie glauben mir nicht?«
»Ich bitte Sie! Warum sollten Sie mir von einem Gegenstand erzählen, der nicht nur Ihren Bruder, sondern auch Sie vernichten kann? Wenn es diesen Gegenstand wirklich gäbe, würden Sie den Teufel tun und mir davon berichten. Sie würden sich wohl kaum selbst in Gefahr bringen!«
»Womöglich vertraue ich Ihnen«, entgegnete er ernst. »Ich versichere Ihnen, dass dieses Kreuz existiert. Es –«
»Ein Kreuz?« Plötzlich sah sie die Tuschezeichnung vor sich, die sie auf Catherine Baynes Tisch gefunden hatte. Sprach Lucian Mondragon tatsächlich die Wahrheit? »Was ist das für ein Kreuz?«
»Das habe ich noch nicht herausgefunden. Aber ich bin sicher, dass es hier in Edinburgh sein muss.« Er seufzte. »Sie glauben mir noch immer nicht.«
»Doch«, sagte sie zu ihrem eigenen Erstaunen. Sie glaubte ihm, aber sie war weit davon entfernt, ihm zu vertrauen. Seine tragische Geschichte konnte ebenso gut
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