Die Jaegerin
Dennoch wollte das Gefühl, verfolgt zu werden, nicht weichen. Tatsächlich wurde es noch stärker, bis sie sicher war, dass sie sich nicht irrte. Doch es war kein Mensch – kein Jäger –, sondern ein Vampyr!
Nach allem, was die Jägerin berichtet hatte, gab es nur zwei weitere Vampyre in der Stadt: die Ushana und den Unendlichen. Catherine wollte keinem der beiden begegnen! Womöglich gelang es ihr, ihren Verfolger in einer Seitengasse abzuhängen. Unverändert setzte sie ihren Weg fort, bis sich zu ihrer Linken eine Einmündung auftat. Sie schwenkte mit dem Oberkörper nach links, als wolle sie dem Verlauf der Straße folgen. Dann fuhr sie auf dem Absatz herum und spurtete in die entgegengesetzte Richtung davon. Als Catherine die High Street überquerte, warf sie erneut einen Blick zurück. Dort war nichts. Auch das Gefühl, verfolgt zu werden, war so plötzlich verschwunden, wie es gekommen war. Dennoch rannte sie weiter. Sie tauchte in die Schatten einer eng stehenden Häuserzeile ein. Die Finsternis hier war so vollkommen, dass selbst ihre Augen einen Moment brauchten, sich darauf einzustellen. In dem Moment, als die Schwärze einem trüben, fleckigen Grau wich, wuchs vor ihr eine Gestalt aus der Dunkelheit auf. Catherine machte einen erschrockenen Schritt zurück, doch es war zu spät. Der Zusammenprall war unausweichlich. Jemand griff nach ihren Schultern und hielt sie fest. Panik raubte ihr die Sicht, wie es zuvor die Dunkelheit getan hatte. Dann spürte sie die Wärme, die von den Händen an ihren Schultern ausging. Sie vernahm das regelmäßige Schlagen eines Herzens und roch den leicht säuerlichen Geruch von Schweiß. Ein Mensch! Was, wenn es ein Jäger war?
Catherine blinzelte die Flecken weg, die ihr die Sicht nahmen. Vor ihr stand ein hagerer, kahlköpfiger Mann, der trotz der nächtlichen Kälte lediglich in ein einfaches Wollhemd und ein Paar dunkelgrüner Hosen gekleidet war. Keine sichtbaren Waffen!
»Verzeihen Sie!« Sein Atem stieg mit jedem Wort dampfend in die Luft. »Habe ich Ihnen wehgetan?«
Erst da begriff Catherine, was geschehen war. Er war im selben Augenblick um eine Ecke gebogen, als sie die Einmündung passieren wollte. Ihr Zusammenstoß war nichts weiter als ein Zufall gewesen! Dass er sie festhielt, hatte vermutlich nichts anderes zu bedeuten, als dass er geglaubt hatte, sie würde stürzen. Jetzt zog er auch schon seine Hände zurück.
»Verzeihen Sie«, wiederholte er. Einen Moment lang musterte er sie aus dunklen Augen heraus. »Es ist gefährlich, nachts allein auf der Straße. Sie sollten sehen, dass Sie so schnell wie möglich nach Hause kommen!«
Catherine nickte. »Ich wohne gleich dort hinten«, behauptete sie und deutete vage die Gasse entlang. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da nickte er ihr höflich zu und ging davon. Catherine beobachtete, wie er hinter ihr die Straße überquerte und das Haus auf der gegenüberliegenden Seite betrat. Nachdem sie den Mann in der Sicherheit seines Heims wusste, wandte sie sich ab. Noch einmal streifte ihr Blick die schmale Gasse entlang, folgte den Schatten an den Hauswänden, ohne mehr zu finden als raues, dunkles Mauerwerk. Sie machte einen ersten Schritt, als ein Gedanke, scharf wie eine Klinge, durch ihren Geist fuhr: Du willst ihn! Hol ihn dir!
*
Daeron war froh, in Alexandra Boroi eine Verbündete gefunden zu haben. Das Interesse, das sie an Catherines und seinem Schicksal gezeigt hatte, bestärkte ihn in der Hoffnung, dass es ihr damit ernst war. Womöglich würden sie sich, wenn der Unendliche erst vernichtet war, erneut als Feinde gegenüberstehen. Doch bis dahin konnte noch viel geschehen.
Alexandra gab nicht viel über sich preis. Sie schien es zu bevorzugen, für sich zu bleiben. Womöglich war das für jemanden, der sein Leben der Jagd nach Vampyren widmete, die einzige Wahl. Daeron war sich nicht sicher, ob er sie mochte oder nicht. Nun, zumindest respektierte er sie. Er schätzte ihre Geradlinigkeit und die Fähigkeit, sich trotz ihrer offensichtlichen Abscheu auf Catherine und ihn einlassen zu können. Seine Theorie, dass nicht alle Vampyre von Natur aus schlecht waren, schien sie nachdenklich gestimmt zu haben. Ihr Blick war auf den Kamin gerichtet, doch ihre Gedanken schienen weit fort zu sein. Vielleicht beschäftigte sie die Frage, ob womöglich nicht alle Vampyre den Tod verdient hatten. Zum ersten Mal fiel Daeron auf, wie erschöpft sie war. Ihre ohnehin
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