Die Jaegerin
helle Haut wirkte noch blasser und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sichtlich hatte sie seit ihrer Flucht aus seinem Wohnzimmer nicht viel Ruhe gefunden.
Daeron erhob sich. »Sie sehen müde aus. Ich würde vorschlagen, wir sprechen morgen weiter. Lassen Sie mich Ihnen Ihr Zimmer zeigen, dann können Sie sich ausruhen.«
Seine Worte hatten die Erschöpfung schlagartig aus ihren Zügen gewischt und erneutem Misstrauen Platz gemacht. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich mit zwei Vampyren unter einem Dach –«
»Doch, das glaube ich«, fiel Daeron ihr ins Wort. »Ich glaube daran, dass Ihnen unser gemeinsames Ziel ebenso wichtig ist wie Catherine und mir. Deshalb wird unser Waffenstillstand halten. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.« Ihr war deutlich anzusehen, dass sie das keineswegs überzeugte. Deshalb fuhr er fort: »Denken Sie etwa, für uns wäre es ohne Risiko, mit einer Jägerin im gleichen Haus zu schlafen?«
»Im Gegensatz zu mir brauchen Sie keinen Schlaf.«
Das war nicht von der Hand zu weisen. Vampyre brauchten nur im geschwächten Zustand Schlaf. Daeron schlief aus reiner Gewohnheit – nicht aus Notwendigkeit. Solange die Jägerin jedoch im Haus war, hatte er nicht vor zu schlafen. Obwohl er an das Bündnis glaubte, wollte er kein Wagnis eingehen. Immerhin bestand noch immer die Möglichkeit, dass sie nichts weiter als eine gute Schauspielerin war, die es vollbrachte, ihnen eine Allianz vorzugaukeln, während sie in Wahrheit nur auf die Gelegenheit wartete, Catherine und ihn zu vernichten.
»Hinter dem Haus wächst Stechginster«, erklärte er. »Damit können Sie den Raum absichern.« Daeron hatte nie verstanden, woran es lag, dass ausgerechnet eine derart harmlose Pflanze imstande war, Vampyre nicht nur abzuschrecken, sondern sie auch abzuhalten. Zu seinen Lebzeiten hatte er den pfirsichartigen Geruch des gelben Gewächses stets als angenehm empfunden. Mittlerweile jedoch hatte sich das geändert. Kein Vampyr ertrug die Nähe des Krautes. Seine Berührung brannte und der Geruch war derart abstoßend, dass es ihm die Sinne raubte.
Einen Moment lang erwiderte Alexandra nichts, sodass Daeron schon glaubte, sie würde sich nicht auf sein Angebot einlassen. Dann nickte sie.
»Wenn Sie zurückkommen, finden Sie mich oben.«
Ohne ein weiteres Wort nahm sie ihren Silberdolch vom Tisch und verließ das Haus. Daeron ging nach oben. Das Schlafzimmer, das er ihr überlassen wollte, lag am anderen Ende des Ganges, so weit von seinem und Catherines eigenen Schlafgemach entfernt wie nur möglich. Ein Raum, den er bisher nur ein einziges Mal – bei der Besichtigung des Hauses – betreten hatte. Zweifelsohne würde er als Erstes ein Fenster öffnen müssen.
Gefasst darauf, dass ihm abgestandene, modrige Luft entgegenschlagen würde, machte er die Tür auf. Tatsächlich hing ein Hauch von Moder im Raum. Doch da lag noch etwas anderes in der schalen Brise. Der feine, kaum wahrnehmbare Geruch von altem Blut stieg ihm in die Nase und ließ ihn innehalten. Sein Blick erforschte den Raum. Bett, Waschtisch, Kommode und Kleiderschrank. Alles war, wie er es schon bei der Besichtigung gesehen hatte. Es gab keine Spuren auf dem Boden, das Fenster war geschlossen und die Vorhänge waren sorgfältig vorgezogen. Langsam trat Daeron in den Raum und sog die Luft durch die Nase ein. Schritt für Schritt folgte er dem Geruch, der ihn immer näher zum Bett führte, ehe er schließlich am Fußende vor der großen Truhe stehen blieb. Er packte den Deckel und hob ihn. Darin lag ein Kleid, zerknittert und übersät von rostroten Blutflecken. Daeron ließ den Deckel nach hinten klappen und griff nach dem Kleid. Es gehörte Catherine. Sie hatte es in der Bibliothek getragen an jenem Tag, als auch die Jägerin dort gewesen war. Jener Abend, als Daeron dem Blonden nach Lauriston House gefolgt war. Als er nach Hause zurückgekehrt war, hatte Catherine merkwürdig fahrig und abwesend gewirkt. Ihre Wangen waren rosig gewesen. Ein Zeichen, dass sie etwas zu sich genommen hatte. Doch war es wirklich Tierblut gewesen? Warum sollte sie dann das Kleid vor ihm verstecken? Er hob den Stoff an seine Nase und sog den Geruch ein. Das Blut war zu alt, als dass er noch zu sagen vermochte, ob es von einem Tier oder einem Menschen stammte. War sie auf der Jagd gewesen?
Er beschloss, sie bei ihrer Rückkehr direkt mit der Frage zu konfrontieren. Jetzt jedoch musste er das Zimmer für die Jägerin vorbereiten. Alles andere war eine
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