Die Jaegerin
rammte dem Mann vor sich den Silberdolch in den Unterschenkel. Mit einem Schrei taumelte er zurück und gab Alexandra den Weg frei. Sie riss die Klinge aus seinem Bein und rollte sich unter dem Altar hervor. Die Waffe kampfbereit erhoben sprang sie auf die Beine – und blickte geradewegs in den Lauf einer Pistole, die der andere quer über den Altar hinweg auf sie richtete. Alexandras Blick zuckte zum Kästchen mit dem Kreuz, nicht einmal eine Armeslänge entfernt und doch unerreichbar. Wenn sie sich rührte, würde er sie erschießen. Der andere, den sie angegriffen hatte, entwand ihr den Dolch und warf ihn auf den Altar. Dann packte er sie und drängte sie an die Wand zurück.
»Wer bist du, verdammt?«, zischte er, die Züge vor Schmerz und Zorn verzerrt. Winzige Speicheltröpfchen sprühten bei jedem Wort aus seinem Mund. Er stank nach Whisky. »Was willst du hier?«
»Sie ist sicher keine harmlose Reisende«, erklang die Stimme des anderen vom Altar her. »Wenn ich mir den Dolch ansehe, würde ich sagen, sie gehört zu den Jägern. Ganz gleich wer sie ist, geh aus dem Weg, Wasili, damit ich sie abknallen kann!«
Schlagartig verschwand die Hand von ihrem Arm. Im selben Augenblick, als Wasili einen Schritt zur Seite machte, griff Alexandra nach ihrer Pistole. Sie zog die Waffe aus dem Hosenbund, riss sie in die Höhe und gab einen hastigen Schuss auf den anderen ab. Die Kugel verfehlte ihr Ziel. Grinsend legte der andere auf sie an und nahm Maß. Da feuerte Alexandra die Kugel aus dem zweiten Lauf ab diesmal besser gezielt. Ihr Schuss traf ihn in die Brust und schickte ihn zu Boden.
»Zwei Läufe können Leben retten!« Dann holte sie aus und schlug mit dem Pistolengriff nach Wasili, dessen Augen noch entsetzt an seinem Kameraden hingen. Ihr Angriff weckte ihn aus seiner Erstarrung. Blitzschnell duckte er sich und griff nach der Waffe. Alexandra versuchte die Hand zurückzuziehen, doch er war stärker. Mit einem Ruck entriss er ihr die Pistole und drosch damit nach ihr. Er traf sie am Kinn. Schmerz explodierte in bunten Feuerbällen vor ihren Augen. Die Wucht des Angriffs ließ sie zurücktaumeln. Sie geriet ins Stolpern und stürzte. Sofort war Wasili über ihr. Er packte sie an der Kehle und drückte zu. Unerbittlich gruben sich seine Finger in ihr Fleisch und schnürten ihr die Luft ab. Alexandra griff nach seinen Händen und versuchte sie von ihrem Hals zu ziehen. Statt sie freizugeben, verstärkte er seinen Griff noch weiter. Ihre Kehle wurde trocken und fühlte sich an, als stünde sie in Flammen. Alexandra öffnete den Mund und rang um Atem, doch kein noch so geringer Luftzug wollte ihre Lungen erreichen. Sie trat nach ihm und versuchte noch einmal, sich seinem Griff zu entziehen. Ihre Gegenwehr verpuffte im Nichts. Immer weiter drückte er zu, bis sie glaubte, er würde ihr den Kehlkopf zerschmettern. Allmählich wich die Kraft aus ihren Armen, trotzdem kämpfte sie weiter gegen ihn an. Selbst als sich bereits dunkle Flecken vor ihren Augen ausbreiteten, war sie nicht bereit aufzugeben. Wenn es ihr gelang, die Dolchwunde in seinem Bein zu erreichen, würde er womöglich vor Schmerz von ihr ablassen. Sie trat nach ihm, diesmal gezielter. Ihre Beine scharrten über den Boden, als sie versuchte ihn am Unterschenkel zu treffen. Wieder und wieder holte sie aus, doch ihre Tritte verloren immer mehr an Kraft. Es gelang ihr kaum noch, die Bewegungen zu koordinieren. Ihre Lungen benötigten Luft. Ihre Arme sanken kraftlos herab. Die Schwärze breitete sich weiter aus. Ein Schatten senkte sich über sie – und griff nach Wasili. Zwei Hände schlossen sich um seinen Kopf und rissen ihn herum. Ein trockenes Knacken, dann verschwand der Griff von ihrem Hals. Alexandra stürzte zu Boden. Um Atem ringend rollte sie sich herum und versuchte auf die Knie zu kommen. Gegen die Ohnmacht ankämpfend wappnete sie sich gegen einen weiteren Angriff und zuckte zusammen, als sie eine Berührung an ihrem Arm spürte. Noch immer keuchend fuhr sie herum, um sich dem Griff zu entziehen. Jetzt waren die Hände an ihren Schultern, doch sie hielten sie nicht roh und kraftlos, sondern stützten sie. Blinzelnd versuchte sie die dunklen Flecken zu verdrängen, die nur langsam die Konturen eines vertrauten Gesichtes freigaben. Blaue Augen …
»Alexandra!« Lucians Blick fing den ihren ein. »Sind Sie verletzt?«
Sie setzte sich auf und rieb sich den schmerzenden Hals. Ihr Atem ging noch immer stoßweise und ihre Kehle brannte wie
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