Die Jagd am Nil
Verlegen schaute er hinab auf seinen Bauch und wünschte, er hätte in letzter Zeit mehr Sport getrieben. «Dann sind Sie also Archäologin, oder, Claire?»
«Ich rede nicht mit Ihnen.»
«Ich vermutete es mal, weil Sie hier arbeiten.»
Sie seufzte auf. «Eigentlich bin ich Projektleiterin. Ich spreche und schreibe etwas Arabisch.»
«Sie sprechen Arabisch? Wie kommt’s?»
«Mein Vater war im Ölgeschäft. Ich bin am Golf aufgewachsen. Sie wissen ja, wie schnell man als Kind Sprachen lernt. Deswegen hat mich der Reverend wohl engagiert, denke ich. Und wegen meiner medizinischen Kenntnisse. Die sind in solchen Ländern immer ganz nützlich.»
«In solchen Ländern?»
Ihre Wangen erröteten, sie wich seinem Blick aus. «Ach, Sie wissen schon.»
«Nein», entgegnete Augustin stirnrunzelnd. «Überhaupt nicht. Es sei denn, Sie meinen Länder, die zu primitiv sind, um eigene Ärzte zu haben?»
«Das meinte ich nicht», protestierte sie. «Wie gesagt, ich bin im Mittleren Osten aufgewachsen. Ich liebe es hier. Aber für einige Menschen ist es schon unangenehm genug, wenn sie zu Hause zum Arzt gehen müssen, besonders für Jugendliche. Und in einem fremden Land, in dem sie nicht einmal die Sprache sprechen …» Sie versuchte ein Lächeln. «Sie kennen uns Amerikaner doch. Reisen ist nicht gerade unsere Stärke.»
«Welche medizinischen Kenntnisse haben Sie denn eigentlich? Wenn ich mich schon von Ihnen untersuchen lasse.»
Sie legte ihre Hände auf seine Brust, tastete vorsichtig seine Rippen ab, lauschte aufmerksam und überprüfte an seiner Miene, ob er Schmerzen hatte. «Ich habe fünf Jahre Medizin studiert.»
«Fünf Jahre? Und dann haben Sie einfach aufgegeben?»
«Mein Vater wurde krank.» Sie neigte ihren Kopf zur Seite, unsicher, warum sie einem Fremden so viel anvertraute. «Er hat damals nicht gearbeitet. Er war nicht … nicht
richtig
versichert. Meine Mutter war bereits verstorben. Er musste gepflegt werden.»
«Das haben Sie übernommen?»
Sie nickte geistesabwesend. «Haben Sie sich schon mal um jemanden gekümmert? Um jemanden, der im Sterben liegt?», fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. «Ich habe mich immer nur um mich selbst gekümmert.»
«Peterson und seine Kirche waren großartig. Sie haben so viel für uns getan. Sie betreiben diesen ehrenamtlichen sozialen Hilfsdienst. Ehrlich, ohne sie hätten wir es nie geschafft. Es gibt dort auch eine Sterbeklinik, in der mein Vater … Sie wissen schon. Außerdem ein Waisenhaus, ein Obdachlosenasyl und andere soziale Einrichtungen. Es sind gute Menschen. Wirklich. Der Reverend ist ein guter Mann.»
«Und deswegen sind Sie hier? Um ihnen zu danken?»
«Wahrscheinlich.»
«Wie kommt es, dass ich gestern gesehen habe, wie Sie die Ausgrabungsstätte verlassen haben?»
Sie kratzte sich an der Nase und tat so, als hätte sie ihn nicht gehört oder nicht verstanden. Doch Augustin ließ die Frage im Raum stehen, bis Claire die Stille nicht mehr ertrug. Sie sah ihn etwas verlegen an. «Wie meinen Sie das?»
«Gestern war ich mit der Polizei hier, um Fragen zu stellen. Als wir ankamen, fuhr Griffin gerade weg. Sie saßen neben ihm. Warum hat er Sie versteckt?»
Sie schluckte. «Niemand hat mich versteckt.»
«Doch, das hat er.»
Sie schaute wieder auf. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Augustin spürte, wie sein Herz pochte. Claire schaute weg, ebenso verwirrt wie er. «Alles in Ordnung», sagte sie und packte das Verbandszeug weg. «Ein paar Schwellungen und Kratzer. Mehr nicht.»
«Sie wissen, was in dieser Nacht passiert ist, nicht wahr?», sagte Augustin. «Sie wissen, was mit Omar und Knox geschehen ist.»
«Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.»
«Doch, das wissen Sie», beharrte er. «Erzählen Sie es mir.»
Aber anstatt etwas zu sagen, lief sie zur Tür und hämmerte dagegen.
II
«Sethos I.?», fragte Lily.
«Ein Pharao der frühen neunzehnten Dynastie», antwortete Gaille, während sie weiter mit den Händen grub. «Er kam ungefährfünfzig Jahre nach Echnaton an die Macht und wurde im Tal der Könige bestattet.»
«Was ist mit ihm?», fragte Stafford.
«Sein Grabmal machte zuerst einen relativ simplen Eindruck. Der Eingangsschacht führt zu einer Grabkammer mit einer Sickergrube direkt davor.»
«So wie hier, meinen Sie?»
«Wie im königlichen Grab, ja. Dann stellte sich aber heraus, dass die Sickergrube gar keine Sickergrube war. Es war ein Schacht, der zur eigentlichen Grabkammer führte. Er sah nur
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