Die Jagd am Nil
aus wie eine Grube, um mögliche Grabräuber zu täuschen. Was natürlich nicht funktioniert hat.»
«Und Sie glauben, dass hier ist auch so ein Schacht, der zur Grabkammer führt?», fragte Lily.
«Es ist eine Möglichkeit», sagte Gaille. «Ich kann gar nicht glauben, dass ich nicht gleich darauf gekommen bin.»
«Wie tief wird er wohl sein?»
«Der Schacht in Sethos’ Grabmal war hundert Meter tief. Aber das ist außergewöhnlich. Schachtgräber sind normalerweise nur ein paar Meter tief. Und die Hieroglyphen bedeuten bestimmt, dass unter uns irgendetwas ist.»
«Was bringt uns das?», brummte Stafford. «Es wird uns nicht hier heraushelfen.»
«Wahrscheinlich nicht», räumte Gaille ein. «Aber wenn wir weitergraben und etwas finden, kann das Wasser irgendwo abfließen. Oder haben Sie eine bessere Idee?»
«Nein», gab Stafford zu. «Habe ich nicht.»
III
Niemand reagierte auf Claires Hilferufe. Sie hämmerte wieder gegen die Tür. Immer noch nichts. Augustin ging langsam und so unbedrohlich wie möglich auf sie zu. Sie presste sich trotzdem mit dem Rücken an die Wand und hielt das Tablett wie ein Schild vor ihre Brust, sodass das Verbandzeug vor ihr auf den Boden fiel. «Lassen Sie mich gehen», sagte sie gequält und wich seinem Blick aus.
«Hören Sie mich an.»
«Bitte.»
«Eine Minute. Mehr verlange ich nicht.»
Sie ertrug seine Nähe nicht mehr, den sanften Druck seines Körpers, der sie fast berührte, und wandte sich ab. «Na gut», sagte sie. «Eine Minute.»
«Danke. Mich würde brennend interessieren, was mit Knox und Omar geschehen ist, aber im Moment spielt das keine Rolle. Darum kümmere ich mich später. Jetzt brauche ich Ihre Hilfe, weil eine sehr gute Freundin von mir in unmittelbarer Todesgefahr steckt und ohne Ihre Hilfe vielleicht verloren ist.»
Claire runzelte überrascht die Stirn. Damit hatte sie ganz und gar nicht gerechnet. «Eine Freundin? Wer?»
«Eine junge Frau namens Gaille Bonnard. Sie ist Archäologin unten in …»
«Die Geisel?»
«Sie wissen von ihr?»
Claire verzog ihr Gesicht. «Im Fernsehen wurde heute Morgen nichts anderes gezeigt.»
«Sie haben also die Aufnahmen gesehen?», sagte Augustin aufgeregt. «Dann muss Ihnen ihre Sitzposition aufgefallen sein!»
«Wovon reden Sie?»
«Einen Tag, bevor sie entführt worden ist, hat ihr mein Freund Knox Fotos von der Anlage geschickt, die Sie hier gefunden haben.»
«Wir haben nichts gefunden.»
«Sie hat die Fotos überarbeitet und zurückgeschickt. Schauen Sie sich ihre Sitzposition auf dem Film an! Sie sitzt genauso wie …»
«Das Mosaik!», platzte Claire heraus.
«Sie haben es also gesehen», rief Augustin.
«Nein!» Doch ihr Leugnen war absurd, und es schien ihr bewusst zu sein. Sie schob Augustin weg, bückte sich und klaubte ihre Sachen vom Boden auf.
«Claire», beschwor er sie. «Ich bitte Sie. Gaille will uns etwas mitteilen, und es hat mit dem Mosaik zu tun. Wir können ihre Botschaft nicht verstehen, weil unsere Fotos verlorengegangen sind. Wir müssen das originale Motiv finden. Gailles Leben könnte davon abhängen.»
«Ich kann Ihnen nicht helfen.»
«Doch, Sie können. Sie sind Medizinerin, Sie sind zur Ärztin ausgebildet worden. Sie wollen Leben retten. Und jetzt müssen Sie Gaille helfen. Wenn Sie es nicht tun, stirbt sie vielleicht.»
«Hören Sie auf.»
«Was hier vorgeht, gefällt Ihnen nicht, das merke ich doch. Sonst hätten Sie nicht darauf bestanden, mich zu untersuchen. Mir geht’s gut. Vergessen Sie mich. Denken Sie an Gaille. Und an die beiden anderen Geiseln. Sie brauchen Ihre Hilfe. Wie können Sie da nein sagen?»
«Diese Leute hier sind meine Freunde», sagte sie und klopfte an die Tür.
«Nein, das sind sie nicht, Claire. Sie benutzten Sie, weil Sie Arabischsprechen und medizinische Kenntnisse haben und weil sie Sie für loyal halten nach allem, was sie für Ihren Vater getan haben. Mehr nicht. Sie nennen sich Christen, aber können Sie sich vorstellen, dass Christus sich so verhalten hätte? Können Sie sich vorstellen, dass Christus andere Menschen verfolgt und eingesperrt hätte? Können Sie sich vorstellen, dass Christus Informationen zurückgehalten hätte, die das Leben von zwei Frauen und einem Mann retten könnten und …»
«Lassen Sie mich in Ruhe!», bat sie, als Ramiz endlich die Tür öffnete. «Lassen Sie mich in Ruhe.»
«Bitte, Claire, ich flehe Sie an.»
Doch sie riss sich vom ihm los und lief hinaus. Die Tür schlug hinter ihr zu.
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