Die Jagd am Nil
Amarna-Zeit. Er selbst war häufig mit geschwollenem Schädel, vorstehendem Kiefer, Schlitzaugen, fleischigen Lippen, schmalen Schultern, breiten Hüften, einem Schmerbauch, fetten Oberschenkeln und dürren Waden porträtiert worden, was kaum dem heroischen Bild von Männlichkeit entsprach, das die meisten Pharaonen angestrebt hatten. Auch seine Töchter waren für gewöhnlich mit Eierköpfen, langen und dünnen Gliedmaßen sowie spinnenartigen Fingern und Zehen dargestellt worden. Manche glaubten, dass es einfach an dem vorherrschenden Kunststil gelegen hatte. Doch andere, wie offenbar Stafford, waren der Meinung, dass damit die Auswirkungen einer bösartigen Krankheit aufgezeigt wurden. «Und an welche denken Sie?», fragte sie. «Das Marfan-Syndrom? Die Fröhlich-Krankheit?»
«Die Fröhlich-Krankheit bestimmt nicht», entgegnete Stafford naserümpfend. «Die verursacht Sterilität. Und Echnaton hatte sechs Töchter, wie Sie vielleicht wissen.»
«Ja», sagte Gaille, die als Teenager zwei Sommer auf einer Ausgrabungsstätte ihres Vaters in Amarna gearbeitet und die achtzehnte Dynastie drei Jahre lang an der Sorbonne studiert hatte. «Ich weiß.» Trotzdem, es gab so viele Inschriften à la
Kind seiner Lenden, allein seiner, niemandes anderen, nur seiner,
dass man sich fragte, warum auf seine Zeugungsfähigkeit derart übertrieben hingewiesen werden musste.
«Wir haben vor dieser Reise mit einem Spezialisten gesprochen», sagte Lily. «Er denkt, dass es wahrscheinlich das Marfan-Syndrom war. Aber seiner Meinung nach könnten es auch andere Krankheiten gewesen sein, zum Beispiel das Ehler-Danlos- oder das Klinefelter-Syndrom.»
«Es war das Marfan-Syndrom», behauptete Stafford. «Es ist autosomal-dominant. Wenn also nur ein Elternteil das betreffendeGen weitervererbt, wird auch das Syndrom weitervererbt. Schauen Sie sich die Porträts der Töchter an, alle haben die klassischen Marfan-Symptome.»
«Was halten Sie davon, Gaille?», fragte Lily.
Gaille bremste ab, um über einen dicken Teppich aus Zuckerrohrblättern zu fahren, die von den Zuckerfabriken, deren dichter, schwarzer Rauch trotz der bereits einsetzenden Dämmerung noch sichtbar war, dort zum Trockenen in der Sonne ausgebreitet worden waren. «Es klingt natürlich plausibel», antwortete sie. «Aber die Idee ist nicht gerade neu.»
«Nein», erwiderte Stafford lächelnd. «Aber den bahnbrechenden Teil der Theorie haben Sie ja auch noch nicht gehört.»
III
«Das ist furchtbar», murmelte Griffin, als er kreidebleich hinter Peterson hereilte. «Das ist eine Katastrophe.»
«Halte dich an Gott, deinen Herrn, Bruder Griffin», sagte Peterson. «Dann wird sich dir niemand widersetzen können.» In Wahrheit hatte ihn der Besuch von Knox und Tawfiq aufgemuntert. War Daniel Knox nicht der einstige Protegé dieses perversen Abschaums Richard Mitchell? Dadurch war er selbst Abschaum, ein Diener des Teufels. Und wenn der Teufel seine Botschafter auf eine solche Mission schickte, konnte es nur bedeuten, dass er sich Sorgen machte. Was wiederum ein Beweis dafür war, dass Peterson kurz vor seinem Ziel stand.
«Was ist, wenn sie zurückkommen?», wollte Griffin wissen. «Und wenn sie die Polizei mitbringen?»
«Für diesen Fall haben wir unsere Freunde in Kairo bezahlt, oder?»
«Wir müssen den Schacht verbergen», sagte Griffin und presste die Hände auf seinen Bauch, als hätte er Schmerzen. «Und das Magazin! Meine Güte. Wenn sie die Artefakte finden …»
«Hören Sie auf, in Panik zu verfallen!»
«Wie können Sie nur ruhig bleiben?»
«Wir haben Gott auf unserer Seite, Bruder Griffin. Deshalb.»
«Aber ist Ihnen nicht klar …»
«Hören Sie zu», unterbrach Peterson ihn barsch. «Tun Sie, was ich Ihnen sage, und alles wird gut. Sprechen Sie zuerst mit unseren ägyptischen Mitarbeitern. Einer von ihnen hat diesen Deckel gestohlen. Verlangen Sie, dass seine Kollegen ihn ausliefern.»
«Das werden sie niemals tun.»
«Natürlich nicht. Aber damit haben Sie einen Vorwand, alle nach Hause zu schicken, bis Ihre Nachforschungen abgeschlossen sind. Jedenfalls müssen sie weg von hier.»
«Gute Idee.»
«Dann rufen Sie Kairo an. Erklären Sie unseren Freunden die Situation und sagen Sie ihnen, dass wir ihre Unterstützung brauchen. Erinnern Sie sie daran, dass wir im Falle einer Ermittlung möglicherweise nicht anders können, als ihre Namen zu nennen. Dann räumen Sie alles, was uns Probleme bereiten könnte, aus dem Magazin und zurück
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