Die Jagd am Nil
Antiquitätenbehörde in Alexandria», protestierte Omar.
«Interimsleiter», erwiderte Peterson. «Fahren Sie vorsichtig.» Damit wandte er sich ab und marschierte davon. Einen Moment später eilte Griffin ihm nach.
II
Ein paar Kilometer außerhalb von Assiut wurde Gaille an einem Kontrollpunkt angehalten, wo man ihr für die Weiterfahrt nach Norden zwei Streifenwagen zuwies. Das war in dieser Gegend üblich. Wenn sie allein gefahren wäre, wäre Gaille mit ihrem Kopftuch nicht weiter aufgefallen, aber mit Stafford und Lily im Wagen, die eindeutig als Westler zu erkennen waren, konnte man eine Polizeieskorte kaum vermeiden. Gaille hasste es, in einem solchen Konvoi zu fahren. Die Polizei raste mit einem halsbrecherischen Tempo voraus und schlängelte sich ungestüm durch den Verkehr, sodass sie beängstigend schnell fahren musste, ummitzuhalten. Doch sie erreichten die Grenze des Zuständigkeitsbereichs der Polizei ohne Zwischenfall, und die beiden Wagen verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
«Worum geht es in Ihrem Film?», fragte Gaille, als sie erleichtert mit vernünftiger Geschwindigkeit weiterfuhr.
«Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen eine Kopie der Synopsis für diesen Abschnitt geben», sagte Lily vom Rücksitz und öffnete ihre Tasche.
«Das ist vertraulich», blaffte Stafford.
«Wir haben Gaille um Hilfe gebeten», entgegnete Lily. «Wie kann sie uns helfen, wenn sie nicht weiß, woran wir arbeiten?»
«Na schön», seufzte Stafford. Er nahm Lily die Synopsis aus der Hand, warf einen Blick darauf, als wollte er sich vergewissern, dass sie keine Staatsgeheimnisse enthielt, legte das Blatt dann auf seine Knie und räusperte sich. «Im Jahre 1714», begann er mit sonorer Stimme wie ein Kommentator, «stieß Claude Sicard, ein französischer Jesuitengelehrter, im Herzens Ägyptens an einer abgelegenen Stelle nahe des Nils auf eine Felsinschrift. Sie erwies sich als Grenzmarkierung für eine der bemerkenswertesten Städte der Antike, der Hauptstadt eines bis dahin unbekannten Pharaos, eines Mannes, der eine neue Philosophie, einen neuen Kunststil und vor allem gewagte neue Vorstellungen über das Wesen Gottes angeregt hat, die den Status quo erschüttert und die Weltgeschichte unumkehrbar verändert haben.»
Meinen Sie, im Gegensatz zu umkehrbar verändert?,
dachte Gaille und unterdrückte ein Lächeln.
Stafford schaute sie von der Seite an. «Sagten Sie etwas?»
«Nein.»
Er schob seine Lippen vor, als wollte er etwas entgegnen, machte dann aber dort weiter, wo er aufgehört hatte. «Diese neuen Ideen gingen dem ägyptischen Establishment jedoch zu weit.Merkwürdigerweise ereignete es sich, dass diese Stadt nicht nur aufgegeben, sondern Stein für Stein abgetragen worden ist, um jeden Beweis ihrer Existenz zu vernichten. Außerdem wurde in ganz Ägypten jedes Zeugnis dieses Mannes und seiner Regentschaft akribisch ausradiert, sodass sich im Laufe der Zeit jede Spur von ihm verloren hat. Wer war er, dieser ketzerische Pharao? Welches Verbrechen hat er begangen, das derart ungeheuerlich war, dass es aus der Geschichte gelöscht werden musste? In seinem neuesten bahnbrechenden Buch und der begleitenden Dokumentation erforscht der ikonoklastische Historiker Charles Stafford die erstaunlich vielschichtigen Geheimnisse der Amarna-Zeit und entwickelt eine revolutionäre neue Theorie, die nicht nur unsere bisherige Vorstellung von Echnaton erschüttern wird, sondern die gesamte Geschichte des antiken Nahen Ostens neu schreibt.» Er faltete das Blatt zusammen, steckte es in die Innentasche seines Jacketts und schien ziemlich zufrieden mit sich zu sein.
Ein Esel stand mitten auf der Straße, die Vorderbeine zusammengebunden, sodass er sich nur mit lahmen Sprüngen bewegen konnte. Gaille bremste ab, damit er Zeit hatte, den Straßenrand zu erreichen. Doch er blieb erschrocken stehen, sodass sie auf die andere Spur ausscheren musste und ein wütendes Hupkonzert der entgegenkommenden Autos heraufbeschwor. «Das wollen Sie alles in Ihrem Film zeigen?», fragte sie, während sie in den Rückspiegel schaute, bis der Esel nicht mehr zu sehen war.
«Und noch mehr. Viel mehr.»
«Und wie?»
«Er glaubt, dass Echnaton eine Krankheit hatte», soufflierte Lily vom Rücksitz.
«Ach», sagte Gaille enttäuscht, als sie von der Hauptstraße am Nil nach links auf einen schmalen Feldweg einbog. Die grotesken Darstellungen von Echnaton und seiner Familie waren einer deram heftigsten diskutierten Aspekte der
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