Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jagd beginnt

Die Jagd beginnt

Titel: Die Jagd beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
nähme, näher heranzureiten, wäre es vielleicht zu spät. Die Frau konnte sich kaum noch dieses Ding mit dem Ast vom Leibe halten. Die Entfernung war beträchtlich; er blinzelte immer wieder, während er versuchte, das Ziel richtig einzuschätzen; mit jeder Bewegung des Dings schien sich die Entfernung allerdings gleich um Spannen zu verändern – aber es war ja eine große Zielscheibe. Es war schwierig, mit der bandagierten Hand an der Sehne zu ziehen, aber der erste Pfeil flog schon, als er noch kaum die Füße auf dem Boden hatte.
    Der Pfeil bohrte sich tief in die ledrige Haut; die Kreatur fuhr herum und blickte Rand an. Rand trat trotz der Entfernung einen Schritt zurück. Dieser riesige keilförmige Kopf gehörte zu keinem Tier, das er je gesehen hatte, genauso wenig wie das breite schnabelförmige Maul mit den Hornlippen, an denen sich Widerhaken befanden, mit denen ganze Fleischstücke weggerissen werden konnten. Und das Ungeheuer hatte drei Augen, klein und wild, die von harten Wülsten umgeben waren. Der Körper spannte sich, sprang den Bach hinunter und mit großen, platschenden Sätzen auf ihn zu. Für Rands gestörtes Wahrnehmungsvermögen wirkte es, als seien manche dieser Sprünge doppelt so weit wie die anderen; dabei war er sicher, dass sie alle gleich lang waren.
    »Ein Auge«!, rief die Frau. Sie klang überraschend ruhig, wenn man an ihre vorherigen Schreie dachte. »Ihr müsst ein Auge treffen, um das Biest zu töten!«
    Er zog die Sehne mit einem weiteren Pfeil bis ans Ohr zurück. Zögernd suchte er das Nichts; er wollte eigentlich nicht, aber schließlich hatte es Tam ihm gerade für diesen Zweck beigebracht, und er wusste, dass der Schuss ohne die Hilfe des Nichts fehlgehen würde. Mein Vater, dachte er mit einem Gefühl des Bedauerns, und dann erfüllte ihn die Leere. Der flackernde Lichtschein von Saidin war auch da, aber er beachtete ihn nicht. Er war eins mit dem Bogen, mit dem Pfeil, mit der monströsen Gestalt, die auf ihn zujagte. Eins mit dem winzigen Auge. Er fühlte nicht einmal, wie der Pfeil die Sehne verließ.
    Die Kreatur richtete sich zu einem weiteren Satz auf, und in diesem Augenblick traf der Pfeil das mittlere Auge. Das Ding landete auf allen vieren. Wasser und Schlamm spritzten auf. Wellen breiteten sich um die Kreatur aus, aber sie bewegte sich nicht mehr.
    »Ein guter und mutiger Schuss«!, rief die Frau. Sie saß auf ihrem Pferd und ritt auf ihn zu. Rand war überrascht, dass sie nicht davongerannt war, als die Aufmerksamkeit des Dings von ihr abgelenkt wurde. Sie ritt an dem Ungeheuer vorbei, das im Todeskampf zuckte, ohne auch nur hinunterzublicken, ließ ihr Pferd die Böschung erklimmen und stieg ab. »Nur wenige Männer hätten den Mut, sich dem Angriff eines Grolms zu stellen, Herr.«
    Sie war weiß gekleidet. Ihr Kleid war zum Reiten geschlitzt und von einem silbernen Gürtel zusammengehalten, und die Stiefel, die unter dem Saum hervorlugten, waren mit Silber verziert. Sogar der Sattel war weiß mit Silberknöpfen. Ihre Schimmelstute mit dem edel gekrümmten Hals und dem spielerischen Schritt war beinahe so hochrahmig wie Rands Hengst. Aber alles, was er in diesem Moment sah, war die Frau selbst. Sie war etwa so alt wie Nynaeve, vermutete er. Zum einen war sie groß – noch eine Handspanne mehr, und sie hätte ihm direkt in die Augen sehen können. Zum anderen war sie schön. Ihre elfenbeinblasse Haut bildete einen scharfen Kontrast zu dem nachtdunklen langen Haar und den schwarzen Augen. Er hatte andere schöne Frauen gesehen. Moiraine war schön, wenn auch auf eine kühle Art, und auch Nynaeve sah anmutig aus, wenn sie nicht gerade einen Wutausbruch bekam. Egwene und Elayne, die Tochter-Erbin von Andor, waren beide schön genug, um einem Mann den Atem stocken zu lassen. Doch diese Frau … Die Zunge klebte ihm am Gaumen, und er fühlte, wie sein Herz zu klopfen begann.
    »Euer Gefolge, Herr?«
    Überrascht blickte er sich um. Hurin und Loial waren angekommen. Hurin sah sie genauso an, wie Rand es von sich selbst vermutete, und sogar der Ogier schien fasziniert. »Meine Freunde«, sagte er. »Loial und Hurin. Ich heiße Rand. Rand al’Thor.«
    »Ich habe noch niemals darüber nachgedacht«, sagte Loial, und es klang, als spräche er zu sich selbst, »aber wenn es etwas wie die vollkommene menschliche Schönheit gibt, Gesicht und Gestalt, dann seid Ihr …«
    »Loial«!, rief Rand. Die Ohren des Ogiers versteiften sich vor Verlegenheit. Rands Ohren waren

Weitere Kostenlose Bücher