Die Jagd beginnt
Pfeil verließ den Bogen, und er senkte ihn. Er befand sich noch tief im Nichts, während bereits der vierte Grolm fiel wie eine Marionette, deren Fäden zerschnitten wurden. Obwohl der letzte Pfeil sich noch in der Luft befand, wusste er, dass er keinen weiteren benötigen würde. Die letzte Bestie brach zusammen, als wären ihre Knochen geschmolzen. Ein gefiederter Pfeil ragte aus ihrem mittleren Auge. Immer war es das mittlere Auge.
»Prachtvoll, Lord Rand«, sagte Hurin. »Ich … ich habe noch nie jemanden so schießen sehen.«
Das Nichts hielt Rand fest. Das Licht lockte ihn, und er … griff … danach. Es umgab ihn, füllte ihn aus.
»Lord Rand?« Hurin berührte seinen Arm, und Rand fuhr zusammen. Die Leere füllte sich mit den Dingen seiner Umgebung. »Fühlt Ihr Euch wohl, Lord Rand?«
Rand fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Stirn. Sie war trocken, doch er hatte das Gefühl, sie müsse mit Schweiß bedeckt sein. »Mir … mir geht es gut, Hurin.«
»Ich habe gehört, dass es jedes Mal leichter wird«, sagte Selene. »Je länger Ihr im Einssein verharrt, desto leichter wird es.«
Rand blickte sie an. »Mag sein, aber ich werde das nicht mehr brauchen, jedenfalls für eine ganze Weile nicht.« Was ist geschehen? Ich wollte … Er wollte es immer noch, das wurde ihm erschreckend klar. Er wollte zurück ins Nichts, wollte fühlen, wie ihn dieser Lichtschein erneut erfüllte. Es war ihm dabei vorgekommen, als lebe er erst jetzt vollkommen, trotz aller Kränklichkeit dieses Lichts, als sei das ›Jetzt‹ nur ein billiger Abklatsch. Nein, noch schlimmer. Er hatte beinahe vollkommen gelebt, aber im vollen Bewusstsein, was ›Leben‹ wirklich hieß. Er musste lediglich nach Saidin greifen …
»Nicht noch einmal«, murmelte er. Er sah hinüber zu den toten Grolmen . Fünf unförmige Gestalten lagen auf dem Boden. Nicht mehr gefährlich. »Jetzt können wir uns auf den Weg …«
Ein keuchendes, grunzendes Bellen, nur zu bekannt, erklang jenseits der toten Grolme , jenseits des nächsten Hügels, und weitere antworteten darauf. Immer mehr kamen, von Osten her, von Westen her.
Rand hob unsicher seinen Bogen.
»Wie viele Pfeile habt Ihr noch übrig?«, wollte Selene wissen. »Könnt Ihr zwanzig Grolme töten? Dreißig? Hundert? Wir müssen den Portalstein erreichen.«
»Sie hat Recht, Rand«, sagte Loial bedächtig. »Wir haben keine andere Wahl.« Hurin sah Rand ängstlich an. Die Grolme schrien. Ein Dutzend übertönte sich gegenseitig.
»Zum Stein«, stimmte Rand zögernd zu. Wütend schwang er sich wieder in den Sattel und hängte sich den Bogen um. »Führt uns zu diesem Stein, Selene.«
Mit einem Nicken ließ sie ihre Stute umdrehen und setzte sie in Trab. Rand und die anderen folgten ihr – die anderen eifrig, er dagegen zurückhaltend. Das bellende Grunzen der Grolme verfolgte sie. Es schienen Hunderte zu sein. Es klang, als kämen die Grolme in einer halbkreisförmigen Formation auf sie zu, die nur den Weg nach vorn freiließ. Schnell und sicher führte Selene sie zwischen den Hügeln hindurch. Das Land stieg allmählich an. Die Abhänge wurden steiler, sodass die Pferde über ausgewaschene Felsausläufer und die spärlichen blassen Sträucher stolperten, die sich an die Felsen klammerten. Der Weg wurde schwieriger. Es ging immer steiler nach oben.
Das schaffen wir nicht , dachte Rand, als der Braune zum fünften Mal ausglitt und in einem Steinhagel zurückrutschte. Loial warf seinen Bauernspieß weg; er nützte ihm nichts gegen die Grolme und hinderte ihn nur am Vorwärtskommen. Der Ogier hatte das Reiten aufgegeben. Er zog sich mit einer Hand nach oben, und mit der anderen zerrte er sein großes Pferd hinter sich her. Das zottelige Tier hatte große Schwierigkeiten beim Hochklettern, aber es war immer noch besser dran ohne Loial auf dem Rücken. Die Grolme bellten hinter ihnen, und es klang jetzt näher.
Selene brachte ihre Stute zum Stehen und deutete auf eine Mulde, die unter ihnen im Granit eingebettet lag. Alles befand sich dort: die sieben breiten farbigen Stufen um den blassen Steinboden herum und in der Mitte die hohe Steinsäule.
Sie stieg ab und führte ihre Stute in die Mulde und die Treppe hinab zur Säule. Sie ragte über ihr auf. Sie drehte sich um und sah nach Rand und den anderen. Dutzende von Grolmen stießen ihre bellenden Grunzlaute aus – und zwar sehr nahe. »Sie werden uns bald erreicht haben«, sagte sie. »Ihr müsst den Stein benutzen, Rand. Es sei denn,
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