Die Jagd beginnt
aus dieser Koje herauskomme, Egwene …«
Was auch immer sie noch hatte sagen wollen, wurde durch ein Klopfen an die Tür unterbrochen. Bevor Egwene etwas sagen oder sich auch nur bewegen konnte, kam die Amyrlin selbst herein und schloss die Tür hinter sich. Erstaunlicherweise war sie einmal allein. Sie verließ nur selten ihre Kabine und dann auch nur mit Leane an der Seite und vielleicht noch einer der Aes Sedai.
Egwene sprang auf. Der Raum war ziemlich voll mit drei Menschen.
»Fühlt Ihr Euch beide wohl?«, fragte die Amyrlin aufmunternd. Sie hielt den Kopf schief und sah Nynaeve an. »Ich hoffe, Ihr esst auch gut? Seid Ihr guter Stimmung?«
Nynaeve setzte sich mühsam auf und lehnte sich gegen die Wand. »Meine Stimmung ist ausgezeichnet, vielen Dank.«
»Es ist uns eine Ehre, Mutter«, begann Egwene, aber die Amyrlin gab ihr durch einen Wink zu verstehen, sie solle schweigen.
»Es ist gut, sich wieder auf dem Wasser zu befinden, aber wenn man nichts zu tun hat, wird es mit der Zeit so langweilig wie ein Mühlteich.« Das Schiff schwankte, und sie verlagerte ihr Gewicht, ohne es überhaupt zu bemerken. »Heute unterrichte ich Euch.« Sie setzte sich im Schneidersitz auf das Ende von Egwenes Koje. »Setzt Euch, Kind.«
Egwene setzte sich, aber Nynaeve bemühte sich, auf die Beine zu kommen. »Ich denke, ich gehe an Deck.«
»Ich sagte, setzt Euch!« Die Stimme der Amyrlin peitschte durch die Kabine, aber Nynaeve versuchte immer noch, wankend aufzustehen. Sie stützte sich mit beiden Händen am Bett ab, doch sie stand schon fast. Egwene war schon bereit, sie aufzufangen, falls sie stürzte.
Dann schloss Nynaeve die Augen und setzte sich wieder aufs Bett. »Vielleicht bleibe ich doch. Es ist oben bestimmt sehr windig.«
Die Amyrlin lachte auf. »Man sagte mir, Ihr hättet eine Laune wie eine Möwe mit einer Gräte in der Kehle. Einige meinen, Kind, es sei besser für Euch, eine Weile als Novizin zu verbringen, gleichgültig, wie alt Ihr schon seid. Ich dagegen sage, wenn Ihr wirklich die Fähigkeiten besitzt, von denen ich hörte, verdient Ihr es, unter die Aufgenommenen eingereiht zu werden.« Sie lachte erneut. »Ich bin dafür, jedem das zu geben, was er verdient. Ja. Ich vermute, Ihr werdet eine Menge lernen, wenn Ihr einmal in der Weißen Burg seid.«
»Mir wäre es lieber, einer der Behüter brächte mir bei, wie man ein Schwert gebraucht«, grollte Nynaeve. Sie schluckte krampfhaft und riss die Augen auf. »Es gibt jemanden, bei dem ich das gern verwenden würde.« Egwene warf ihr einen scharfen Blick zu. Meinte Nynaeve damit die Amyrlin – das wäre dumm und gefährlich – oder Lan? Sie hatte Egwene jedes Mal angefaucht, wenn Lan erwähnt wurde.
»Ein Schwert?«, fragte die Amyrlin. »Ich habe niemals daran geglaubt, dass Schwerter sehr nützlich seien – selbst wenn Ihr die Fertigkeit besitzt, Kind, gibt es immer Männer, die es genauso gut können und kräftiger sind. Aber wenn Ihr ein Schwert haben wollt …« Sie hob die Hand – Egwene keuchte völlig überrascht, und selbst Nynaeves Augen quollen beinahe heraus – und hielt ein Schwert. Klinge und Griff waren von einem eigenartigen bläulichen Weiß und wirkten irgendwie … kalt. »Aus der Luft erschaffen, Kind. Es ist so gut wie die meisten Stahlklingen, sogar besser als die meisten und doch zu wenigem zu gebrauchen.« Aus dem Schwert wurde ein Hirschfänger. Es schrumpfte nicht etwa; es war erst ein Schwert und dann übergangslos etwas anderes. »Das hier ist zum Beispiel nützlich.« Der Hirschfänger verwandelte sich in Nebel, und der Nebel verflog. Die Amyrlin legte die Hand wieder in den Schoß. »Aber beides kostet mehr Mühe, als es wert ist. Es ist besser und leichter, einfach ein gutes Messer bei sich zu tragen. Ihr müsst lernen, wann Ihr Eure Fähigkeiten anwendet, genauso wie Ihr lernen müsst, wie Ihr sie richtig anwendet und wann es besser ist, die Dinge so anzupacken wie jede normale Frau. Lasst den Schmied Messer anfertigen, um Fische auszunehmen. Gebraucht Ihr die Eine Macht zu oft und in zu hohem Maße, dann gefällt es Euch vielleicht zu sehr. Darin liegt Gefahr. Ihr wollt dann mehr und mehr davon, und früher oder später riskiert Ihr, mehr Macht an Euch zu reißen, als Ihr gefahrlos beherrschen könnt. Und das wiederum kann Euch ausbrennen wie eine abgeschnittene Kerze oder …«
»Wenn ich das alles schon lernen muss«, unterbrach Nynaeve sie unnachgiebig, »dann möchte ich lieber gleich etwas Nützliches
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