Die Jagd beginnt
war, ihre Ängste zu bezwingen und aufgenommen zu werden.«
»Kennt sie ihre Ängste?«
»Sie hat ihnen noch nie gegenübergestanden, aber nun ist sie willens dazu.«
»Dann lasst sie dem gegenübertreten, was sie fürchtet.«
Sheriam blieb zwei Spannen weit vor den Bogen stehen, und Nynaeve blieb ebenfalls stehen. »Euer Kleid«, flüsterte Sheriam, ohne sie anzusehen.
Nynaeve lief rot an, weil sie bereits vergessen hatte, was ihr Sheriam auf dem Weg hierher gesagt hatte. Schnell zog sie ihre Kleider, Schuhe und Strümpfe aus. Einen Augenblick lang vergaß sie beinahe die Torbogen, während sie damit beschäftigt war, ihre Kleidung zu falten und wegzulegen. Sie steckte Lans Ring sorgfältig unter ihr Kleid, denn sie wollte nicht, dass er angestarrt wurde. Dann war sie fertig, und das Ter’angreal war immer noch da und wartete auf sie.
Der Steinboden unter ihren bloßen Füßen war kalt, und sie bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper, doch sie stand aufrecht und atmete ruhig. Sie wollte niemandem zeigen, dass sie große Angst hatte.
»Das erste Mal steht für das, was war«, sagte Sheriam. »Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal. Seid standhaft.«
Nynaeve zögerte. Dann trat sie vor, ging durch den Bogen hindurch und in das Glühen hinein. Es umgab sie, als glühe die Luft selbst, als ertrinke sie im Licht. Das Licht war überall. Das Licht war alles.
Nynaeve fuhr zusammen, als ihr klar wurde, dass sie nackt war, und dann sah sie sich erstaunt um. Auf beiden Seiten befand sich eine Steinmauer, doppelt so hoch wie sie und glatt geschliffen. Ihre Zehen wühlten im Staub eines unebenen Pflasters. Der Himmel über ihr schien bleiern und ohne Tiefe, trotz des Fehlens aller Wolken, und die Sonne hing aufgebläht und rot über ihr. Nach beiden Seiten zu entdeckte sie Durchgänge in den Mauern, die durch kurze quadratische Säulen markiert waren. Obwohl die Mauern ihr Gesichtsfeld einengten, sah sie, dass der Boden sich von ihrem Standpunkt aus sowohl nach vorn wie auch nach hinten senkte. Durch die Durchgänge erblickte sie weitere dicke Mauern und dazwischen Wege. Sie befand sich in einem gigantischen Labyrinth.
Wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen? Wie von einer anderen Stimme gesprochen, kam ein weiterer Gedanke: Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal.
Sie schüttelte den Kopf. »Wenn es nur einen einzigen Weg hinaus gibt, dann finde ich ihn nicht, indem ich hier herumstehe.« Wenigstens war die Luft warm und trocken. »Hoffentlich finde ich etwas zum Anziehen, bevor ich Leute treffe«, murmelte sie.
Sie erinnerte sich noch schwach daran, dass sie als Kind Labyrinthe aufgezeichnet hatte; es hatte irgendeinen Trick gegeben, den Weg hinaus zu finden, doch er wollte ihr einfach nicht mehr einfallen. Alles an ihrer Vergangenheit erschien ihr so vage, als habe es jemand anders erlebt. Sie ging los und streifte dabei mit einer Hand an der Mauer entlang. Unter ihren bloßen Füßen erhoben sich Staubwölkchen.
Am ersten Durchgang angekommen, blickte sie in einen weiteren Gang, der sich von dem nicht zu unterscheiden schien, in dem sie sich befand. Sie atmete tief durch und ging geradeaus weiter durch neue Gänge, die alle genau gleich aussahen. Schließlich teilte sich der Gang. Sie entschied sich für links, und später teilte sich dieser Gang wieder. Erneut ging sie nach links. Bei der dritten Abzweigung führte sie der linke Gang in eine Sackgasse.
Mit grimmiger Miene ging sie zur letzten Abzweigung zurück und nahm den rechten Gang. Diesmal erreichte sie nach dem vierten Rechtsabbiegen eine Sackgasse. Für einen Augenblick stand sie nur da und blickte wütend auf die Abschlussmauer. »Wie bin ich hergekommen?«, fragte sie laut. »Wo liegt dieser Ort eigentlich?« Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal.
Noch einmal wandte sie sich zurück. Sie war sicher, es müsse einen Kniff geben, um diesem Labyrinth zu entkommen. Bei der letzten Abzweigung hielt sie sich links und an der nachfolgenden rechts. Entschlossen machte sie so weiter. Links und dann rechts. Geradeaus, bis sie an eine Gabelung kam. Links, dann rechts.
Es schien ihr zu glücken. Zumindest war sie auf die Art bereits an einem Dutzend Abzweigungen vorbeigekommen, ohne wieder in einer Sackgasse zu landen. Sie erreichte eine weitere Gabelung.
Aus dem Augenwinkel erkannte sie eine huschende Bewegung. Als sie sich umdrehte und nachsehen wollte, lag da nur ein staubiger Gang zwischen glatten Steinmauern. Sie ging nach
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