Die Jagd beginnt
war gerade lang genug, dass die Spitzen seiner gelben Pantoletten beim Gehen herauslugten. Der andere trug ein blaues Seidengewand, mit Vogelbildern umsäumt und so lang, dass er es auf dem Boden hinter sich herschleifen musste. Sein Kopf war völlig kahl geschoren, und die Fingernägel waren dreimal so lang wie normal. Die an den Zeige- und Mittelfingern beider Hände waren blau angemalt. Domon bekam vor Staunen den Mund nicht zu.
»Ihr befindet Euch in der Gegenwart des Hochlord Turak«, verkündete der blonde Mann in singendem Tonfall, »der die Vorläufer befehligt und die Wiederkehr vorbereitet.«
Egeanin warf sich mit seitlich angelegten Händen zu Boden. Domon machte es ihr übereifrig nach. Selbst die Hochlords von Tear so was nicht verlangen würden , dachte er. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Egeanin den Boden küsste. Er verzog das Gesicht und entschloss sich, das Nachahmen an diesem Punkt abzubrechen. Sie nicht sehen können sowieso, ob ich das tun oder nicht.
Egeanin stand unvermittelt wieder auf. Er begann ebenfalls, sich zu erheben, und kniete auch bereits mit einem Bein wieder, als ein Grollen aus ihrer Kehle und ein entsetzter Blick des Mannes mit dem Zopf ihn wieder zurücksinken ließ. Er lag mit dem Gesicht am Boden und fluchte leise vor sich hin. Ich das nicht machen würde für den König von Illian und den Rat der Neun zusammen. »Ihr heißt Egeanin?« Das musste die Stimme des Mannes in dem blauen Gewand sein. Der Rhythmus seiner Stimme klang beinahe nach Gesang.
»Man gab mir diesen Namen an meinem Schwert-Tag, Hochlord«, antwortete sie demütig.
»Das ist ein schönes Stück, Egeanin. Recht selten. Wünscht Ihr eine Bezahlung?«
»Es ist mir Bezahlung genug, dem Hochlord Freude bereitet zu haben. Ich lebe, um zu dienen, Hochlord.«
»Ich werde Euren Namen der Kaiserin gegenüber erwähnen, Egeanin. Nach der Wiederkehr werden neue Namen zum Adel berufen werden. Erweist Euch als würdig, und vielleicht legt Ihr dann den Namen Egeanin ab, zugunsten eines höheren.«
»Der Hochlord ehrt mich.«
»Ja. Ihr könnt mich nun verlassen.«
Domon konnte nur sehen, wie ihre Stiefel sich aus dem Raum schoben, wobei sie in Abständen stehen blieben, wenn sie sich verbeugte. Die Tür schloss sich hinter ihr. Langes Schweigen folgte. Er beobachtete, wie die Schweißtropfen von seiner Stirn auf den Boden klatschten. Dann sprach Turak wieder.
»Ihr mögt Euch erheben, Händler.«
Domon stand auf und sah, was Turak in den Händen mit den langen Fingernägeln hielt: Die Scheibe aus Cuendillar , die das uralte Symbol der Aes Sedai darstellte.
Da er sich noch zu gut an Egeanins Reaktion bei seiner Erwähnung der Aes Sedai erinnerte, kam Domon nun wirklich ins Schwitzen. Im Blick aus den dunklen Augen des Hohen Herrn lag allerdings keine Feindseligkeit, nur leichte Neugier, aber Domon traute solchen Adligen nicht.
»Wisst Ihr, was das ist, Händler?«
»Nein, Hochlord.« Domons Antwort klang felsenfest überzeugend. Kein fahrender Händler überlebte lange, wenn er nicht mit Unschuldsmiene und fester Stimme lügen konnte.
»Und doch habt Ihr es an einem geheimen Ort versteckt.«
»Ich sammeln alte Sachen, Hochlord, Sachen aus vergangenen Zeiten. Es geben solche, die das stehlen würden, wenn es leicht erreichbar sein.«
Turak betrachtete die schwarz-weiße Scheibe einen Augenblick lang. »Das ist Cuendillar , Händler – kennt Ihr diese Bezeichnung? –, und es ist älter, als Euch vielleicht klar ist. Kommt mit!«
Domon folgte dem Mann misstrauisch. Er fühlte sich nun allerdings etwas sicherer. Bei jedem Lord in einem der Länder, die er kannte, wäre es jetzt bereits geschehen, dass er die Wachen gerufen hätte, falls er das wollte. Aber das wenige, das er bisher bei den Seanchaner beobachten konnte, sagte ihm nur, dass sie die Dinge anders anpackten als andere Leute. Er bemühte sich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen.
Er wurde in einen anderen Raum geführt. Er war der Überzeugung, dass Turak das Mobiliar hier mitgebracht haben musste. Es schien ganz aus Rundungen zu bestehen. Es gab überhaupt keine harten, geraden Linien. Das glänzende Holz zeigte eine fremdartige Maserung. Ein Stuhl stand im Raum, und zwar auf einem seidenen Teppich mit Vögeln und Blumen; dazu eine große, runde Kommode. Stellwände ließen auch diesen Raum kleiner erscheinen.
Der Mann mit dem Zopf öffnete die Tür der Kommode, und in ihrem Inneren sah Domon eine eigenartige Sammlung von Skulpturen, Pokalen,
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