Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jagd beginnt

Die Jagd beginnt

Titel: Die Jagd beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
zerrte Egwene an der Silberleine, bis das Armband vom Haken fiel, und das legte sie um ihren Unterarm. Sie hatte die Zähne gefletscht und blickte Renna voll grimmiger Konzentration an. Sie kniete auf den Schultern der Sul’dam und drückte ihr beide Hände auf den Mund. Renna wand sich in Todesangst. Ihre Augen quollen heraus; aus ihrer Kehle drang ein heiseres Krächzen. Egwenes Hände hielten alle Schreie zurück. Renna trommelte mit den Fersen auf den Boden.
    »Hör auf, Egwene!« Nynaeve packte Egwene an den Schultern und zog sie von der anderen Frau weg. »Egwene, lass das! Das willst du doch gar nicht.« Renna lag mit grauem Gesicht am Boden, atmete schwer und starrte wild zur Decke.
    Plötzlich warf sich Egwene in Nynaeves Arme und schluchzte herzerweichend an ihrer Brust. »Sie hat mich verletzt, Nynaeve. Sie hat mir so wehgetan. Alle haben das getan. Sie verletzten mich und taten mir weh, bis ich tat, was sie wollten. Ich hasse sie. Ich hasse sie, weil sie mir Schmerzen zugefügt haben, und ich hasse sie, weil ich tun musste, was sie wollten.«
    »Ich weiß«, sagte Nynaeve sanft. Sie strich Egwene über das Haar. »Ich kann verstehen, dass du sie hasst, Egwene. Jeder versteht das. Sie verdienen es. Aber du darfst deshalb nicht genauso werden wie sie.«
    Seta hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Renna berührte ungläubig das Halsband, das sie jetzt trug. Ihre Hand zitterte.
    Egwene richtete sich auf und wischte sich schnell die Tränen ab. »Das bin ich nicht. Ich werde nie so werden wie die.« Sie riss das Armband beinahe ab und warf es zu Boden. »Ich werde nicht so. Aber ich könnte sie umbringen.«
    »Sie verdienten es.« Min sah die beiden Sul’dam finster an.
    »Rand brächte jemanden um, wenn er so etwas täte«, sagte Elayne. Sie riss sich sichtlich zusammen. »Bestimmt täte er das.«
    »Vielleicht verdienen sie es«, sagte Nynaeve, »und vielleicht täte er es. Aber die Menschen verwechseln oft Rache und Töten mit Gerechtigkeit. Selten nur ertragen sie wirkliche Gerechtigkeit.« Sie hatte oft mit dem Frauenkreis zusammen Recht sprechen müssen. Manchmal kamen Männer zu ihnen, die glaubten, bei Frauen eine bessere Möglichkeit zu haben als beim Dorfrat, aber diese Männer wollten immer durch große Reden oder Flehen um Gnade erreichen, dass ihr Urteil günstig ausfiel. Der Frauenkreis ließ Gnade walten, wo sie verdient schien, aber immer hatte die Gerechtigkeit Vorrang, und die Seherin verkündete das Urteil. Sie hob das von Egwene weggeworfene Armband auf und schloss es. »Wenn ich könnte, würde ich jede der Frauen hier befreien und alle diese Sul’dam vernichten. Aber da ich dazu nicht in der Lage bin …« Sie hängte das Armband an den gleichen Haken wie das andere und sagte dann zu den Sul’dam , die nun niemand mehr an der Leine führten:
    »Wenn Ihr Euch sehr ruhig verhaltet, bleibt Ihr vielleicht lange genug unentdeckt, um die Halsbänder öffnen zu können. Das Rad webt, wie es will, und vielleicht habt Ihr genug Gutes ermöglicht, um das Schlechte aufzuwiegen, das Ihr angerichtet habt, sodass Euch das Rad gestattet, die Halsbänder abzulegen. Falls nicht, wird man Euch schließlich finden. Und ich glaube, wer immer Euch auch findet, wird Euch eine Menge Fragen stellen, bevor man die Halsbänder entfernt. Möglicherweise werdet Ihr auch aus erster Hand erleben, was Ihr allen jenen Frauen angetan habt. Das wäre gerecht«, fügte sie für die anderen hinzu.
    Rennas Gesicht war vor Angst erstarrt. Setas Schultern zuckten, als sie in die vors Gesicht geschlagenen Hände schluchzte. Nynaeve verhärtete ihr Herz. Das ist Gerechtigkeit, sagte sie sich. Dann schob sie die anderen aus dem Zimmer.
    Beim Hinausgehen erregten sie nicht mehr Aufsehen als bei ihrem Kommen. Nynaeve glaubte, das sei ihrem Sul’dam -Kleid zu verdanken, aber sie konnte es trotzdem kaum erwarten, sich endlich wieder umzuziehen. Gleichgültig, was sie zum Anziehen fände. Der schmutzigste Fetzen würde sich auf ihrer Haut noch besser anfühlen als dieses Kleid.
    Die Mädchen waren sehr still und schritten dicht hinter ihr her. Sie wusste nicht, ob das Schweigen darauf zurückzuführen war, was sie getan hatte, oder auf die Angst, von jemandem aufgehalten zu werden. Sie blickte finster drein. Hätten sie sich wohler gefühlt, wenn sie es zugelassen hätte, dass sie aus Wut den Frauen die Kehlen durchgeschnitten hätten? Dann traten sie auf die Straße hinaus. »Pferde«, sagte Egwene. »Wir brauchen Pferde.

Weitere Kostenlose Bücher