Die Jagd beginnt
ihre Adern, lud sie mit Energie auf und dämpfte das Strahlen der Macht um die Amyrlin. Sie hatte offensichtlich dasselbe getan. Moiraine hatte noch nie auch nur daran gedacht, die Eine Macht gegen eine andere Aes Sedai einzusetzen. Wir leben in gefährlichen Zeiten, und das Schicksal der Welt hängt an einem Faden. Deshalb muss man tun, was zu tun ist. Es muss sein. O Verin, warum musstest du deine Nase in Dinge stecken, die dich nichts angehen?
Verin schloss ihr Notizbuch und steckte es hinter ihren Gürtel zurück. Dann blickte sie von einer zur anderen. Sie konnte gar nicht anders, als die Aura wahrzunehmen, die beide jeweils umgab, das Licht, das von der Berührung der Wahren Quelle herrührte. Nur jemand, der selbst darin geübt war, die Macht zu lenken, konnte das Glühen bemerken, aber es gab keine Möglichkeit, dass eine Aes Sedai so etwas bei einer anderen Frau übersah. Ein Hauch von Befriedigung zeigte sich auf Verins Gesicht, aber kein Zeichen des Erkennens, dass sie einen Blitz geschleudert hatte. Sie wirkte nur, als habe sie ein weiteres Stück gefunden, das in ihr Puzzle passte. »Ja, ich dachte mir das schon. Moiraine konnte das nicht alleine vollbringen, und wer könnte ihr eher helfen als ihre Jugendfreundin, die damals mit ihr zusammen heruntergeschlichen ist, um Süßigkeiten zu naschen.« Sie blinzelte. »Vergebt mir, Mutter. Das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Verin, Verin.« Die Amyrlin schüttelte staunend den Kopf. »Ihr beschuldigt Eure Schwester – und mich …? Ich sage es lieber nicht. Und dann seid Ihr besorgt, dass Ihr zu vertraulich mit der Amyrlin gesprochen habt? Ihr bohrt ein Loch in ein Boot und macht Euch Sorgen darüber, dass es regnet. Denkt einmal daran, was Ihr da angedeutet habt, Tochter!«
Dazu ist es zu spät, Siuan , dachte Moiraine. Wenn wir in unserer Panik nicht zur Wahren Quelle gegriffen hätten … Aber jetzt ist sie sicher. »Warum sagt Ihr uns das, Verin?«, fragte sie laut. »Wenn Ihr das glaubt, was Ihr sagt, solltet Ihr es den anderen Schwestern mitteilen, besonders den Roten.«
Verins Augen weiteten sich überrascht. »Ja. Ja, ich glaube, das sollte ich tun. Daran hatte ich nicht gedacht. Aber falls ich das täte, würde man Euch, Moiraine, und Euch, Mutter, einer Dämpfung unterziehen, und natürlich den Mann auch. Niemand hat jemals die Entwicklung eines Mannes verfolgt, der die Eine Macht benützen kann. Wann genau setzt der Wahnsinn ein, und auf welche Art macht er sich bemerkbar? Wie schnell wächst er an? Kann er noch die Eine Macht benützen, wenn sein Körper bereits verfault? Wie lange hält er aus? Falls er keine Dämpfung erfährt, wird mit dem jungen Mann das geschehen – welcher der drei er auch sein mag –, was eben in einem solchen Fall geschieht, ob ich nun dabei bin und alles aufschreibe oder nicht. Wenn er aber beobachtet und angeleitet wird, sollten wir in der Lage sein, alles mit einiger Sicherheit aufzuzeichnen; jedenfalls eine Weile lang. Und außerdem ist da auch noch der Karaethon-Zyklus. « Sie erwiderte ruhig ihre überraschten Blicke. »Ich glaube doch, Mutter, dass er der Wiedergeborene Drache ist? Ich kann nicht glauben, dass Ihr all dies tun würdet – einen Mann frei herumlaufen lassen, der die Macht lenken kann –, wenn er nicht der Drache wäre.«
Sie denkt nur daran, neue Kenntnisse zu erwerben, dachte Moiraine erstaunt. Alles spitzt sich auf den Höhepunkt der schlimmsten Prophezeiung zu, welche die Welt kennt, vielleicht sogar auf das Ende der Welt, und sie interessiert sich nur dafür, Wissen zu erwerben. Aber auch so ist sie noch gefährlich.
»Wer weiß sonst noch davon?« Die Stimme der Amyrlin klang noch schwach, doch gleichzeitig scharf. »Serafelle, schätze ich. Wer noch, Verin?«
»Niemand, Mutter. Serafelle interessiert sich nicht sehr für etwas, was noch niemand in einem Buch festgehalten hat, und das sollte auch noch möglichst lange so sein. Sie glaubt, es seien mehr als zehnmal so viele alte Bücher und Manuskripte und Fragmente überall verstreut, verloren gegangen oder vergessen worden, als wir in Tar Valon zusammengetragen haben. Sie ist sicher, dass noch genug der alten Kenntnisse zu finden seien, um …«
»Genug, Schwester«, sagte Moiraine. Sie ließ die Wahre Quelle entweichen und fühlte, wie die Amyrlin einen Augenblick später dasselbe tat. Es war wie immer ein Verlust, wenn man fühlte, wie die Macht wegrann, als sickerten Blut und Leben aus einer offenen Wunde. Ein Teil ihrer
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