Die Jagd beginnt
selbst wollte sie festhalten, aber im Gegensatz zu einigen ihrer Schwestern hatte sie es sich zur Regel gemacht, sich nicht von dieser Sehnsucht beherrschen zu lassen. »Setzt Euch, Verin, und sagt uns, was Ihr wisst und wie Ihr es herausgefunden habt. Lasst nichts aus.«
Als Verin sich einen Stuhl holte – nach einem unsicheren Blick zur Amyrlin, ob sie sich in ihrer Gegenwart setzen dürfe –, betrachtete Moiraine sie traurig.
»Es ist unwahrscheinlich«, begann Verin, »dass jemand, der nicht die alten Schriften gründlich studiert hat, irgendetwas bemerken würde, außer eben, dass Ihr Euch eigenartig benehmt. Vergebt mir, Mutter. Es war vor fast zwanzig Jahren, als Tar Valon belagert wurde, dass ich einen ersten Hinweis bekam, und das war nur …«
Licht hilf mir, Verin, wie ich dich liebte, der Süßigkeiten wegen und dafür, dass ich mich an deinem Busen ausweinen konnte. Aber ich werde tun, was sein muss. Bestimmt. Ich muss.
Perrin spähte vorsichtig um die Ecke auf den sich entfernenden Rücken der Aes Sedai. Sie roch nach Lavendelseife, obwohl die meisten das noch nicht einmal aus der Nähe bemerkt hätten. Sobald sie außer Sicht war, eilte er zur Tür des Lazaretts. Er hatte schon einmal versucht, Mat zu besuchen, und diese Aes Sedai – er hatte gehört, wie jemand Leane zu ihr gesagt hatte – hätte ihm beinahe den Kopf abgerissen, ohne sich überhaupt umzusehen, wer es war. Er fühlte sich in Gegenwart von Aes Sedai nicht wohl, besonders wenn sie ihm in die Augen starrten.
Er blieb an der Tür kurz stehen und lauschte – er konnte zu beiden Seiten des Korridors keine Schritte hören und auch nichts von der anderen Türseite her –, dann ging er hinein. Er schloss die Tür leise hinter sich.
Das Lazarett war ein langer Raum mit weiß getünchten Wänden. Die Durchgänge zu den Balkonen für die Bogenschützen an beiden Enden ließen eine Menge Licht hereinfallen. Mat lag in einem der engen Betten an der Wand. Nach den Ereignissen des letzten Abends erwartete Perrin, dass die meisten Betten von Verwundeten belegt seien, aber er kam schnell darauf, dass die Festung voll von Aes Sedai war. Das Einzige, was die Aes Sedai nicht mit ihrer Heilkunst vermeiden konnten, war der Tod. Aber für ihn roch der Raum trotzdem nach Krankheit.
Perrin verzog das Gesicht bei diesem Gedanken. Mat lag ruhig da, die Augen geschlossen und die Hände auf der Bettdecke. Er wirkte erschöpft. Nicht wirklich krank, eher als habe er drei Tage auf dem Acker geschuftet und sich gerade erst zum Schlafen niedergelegt. Er roch … irgendwie falsch. Es war nichts Greifbares. Einfach – falsch.
Perrin setzte sich vorsichtig auf das Bett neben dem Mats. Er machte alles vorsichtig. Er überragte die meisten Menschen und war auch, so lange er sich zurückerinnern konnte, immer schon größer als die anderen Jungen gewesen. Er hatte einfach vorsichtig sein müssen, um niemanden aus Versehen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen. Jetzt war es ihm längst zur zweiten Natur geworden. Er überlegte auch gern gründlich und besprach sich manchmal mit anderen. Aber Rand bildet sich ein, er sei ein Lord, und so kann ich nicht mit ihm reden. Mat wird sicher auch nicht viel zu sagen haben.
Letzte Nacht war er in einen der Gärten gegangen, um nachzudenken. Er schämte sich bei der Erinnerung daran noch ein wenig. Wäre er nicht gegangen, hätte er sich stattdessen in seinem Zimmer befunden, dann wäre er mit Egwene und Mat gegangen und hätte sie vielleicht davor bewahren können, verletzt zu werden. Wahrscheinlicher allerdings läge er jetzt wie Mat in einem dieser Betten oder wäre gar tot, aber das änderte nichts an seinen Gefühlen. Was auch immer, er war in den Garten gegangen, und was ihm jetzt Kopfzerbrechen bereitete, hatte nichts mit dem Angriff der Trollocs zu tun.
Dienerinnen und eine von Lady Amalisas Hofdamen, Lady Timora, hatten ihn gefunden, wie er dort in der Dunkelheit saß. Sobald sie ihn gesehen hatten, schickte Timora eine der anderen los, und er hatte gehört, wie sie sagte: »Suche Liandrin Sedai! Schnell!«
Sie hatten dagestanden und ihn beobachtet, als dächten sie, er werde gleich wie ein Gaukler in einer Rauchwolke verschwinden. Das war zu der Zeit, als die erste Alarmglocke zu läuten begann und jedermann in der Festung losgerannt war.
»Liandrin«, murmelte er jetzt. »Rote Ajah. Alles, was sie tun, ist Männer zu jagen, die die Eine Macht benützen können. Du glaubst doch nicht, dass sie mich für
Weitere Kostenlose Bücher