Die Jagd beginnt
sagte die Amyrlin. Auch sie schien es wenig zu kümmern. »Aber Ihr müsst Euch entscheiden, bevor Ingtar aufbricht.«
»Ich werde mit Ingtar reiten, Mutter.«
Die Amyrlin nickte abwesend. »Nun, da das geklärt ist, können wir uns wichtigeren Dingen zuwenden. Ich weiß, dass Ihr die Macht benützt, Junge. Was wisst Ihr selbst darüber?«
Rands Mund klappte auf. Durch seine Sorge um Mat abgelenkt, trafen ihn ihre beiläufig geäußerten Worte wie ein Hammerschlag. Alle Ratschläge und Anweisungen Lans wirbelten davon. Er blickte sie stumm an und leckte sich die Lippen. Es war eine Sache, zu glauben, sie wisse Bescheid, aber eine ganz andere, herauszufinden, dass sie es wirklich wusste. Schließlich traten ihm Schweißperlen auf die Stirn.
Sie beugte sich auf ihrem Stuhl vor und erwartete seine Antwort. Er hatte allerdings das Gefühl, sie wolle sich eher zurücklehnen. Er dachte daran, was Lan gesagt hatte. Wenn sie Angst vor dir hat … Er wollte lachen. Wenn sie Angst vor ihm hatte.
»Nein, kann ich nicht. Ich meine … Ich habe es nicht mit Absicht getan. Es ist einfach passiert. Ich will nicht … die Macht lenken. Ich werde es nie wieder tun. Das schwöre ich.«
»Ihr wollt es nicht«, sagte die Amyrlin. »Nun, das ist klug von Euch. Und auch gleichzeitig närrisch. Einigen kann man das Lenken der Macht beibringen, den meisten aber nicht. Einige wenige jedoch tragen die Saat schon bei der Geburt in sich. Früher oder später benützen sie die Eine Macht, ob sie wollen oder nicht, so sicher, wie aus Rogen Fisch wird. Ihr werdet weiterhin die Macht benützen, Junge. Ihr könnt nichts dagegen machen. Und Ihr solltet sie besser zu lenken lernen , lernen, wie man sie beherrscht, oder Ihr lebt nicht lange genug, um wahnsinnig zu werden. Die Eine Macht tötet alle, die ihren Fluss nicht beherrschen können.«
»Wie soll ich es denn lernen?«, wollte er wissen. Moiraine und Verin saßen einfach nur da und beobachteten ihn. Wie Spinnen. »Wie? Moiraine behauptet, sie könne mir nichts beibringen und ich wisse nicht, wie ich lernen könne. Ich will ja sowieso nicht. Ich will aufhören! Könnt Ihr das nicht verstehen? Aufhören will ich!«
»Ich habe Euch die Wahrheit gesagt, Rand«, warf Moiraine ein. Es klang, als befände sie sich in einer angenehmen Unterhaltungsrunde. »Diejenigen, die Euch lehren könnten, die männlichen Aes Sedai, sind seit dreitausend Jahren tot. Keine lebende Aes Sedai kann Euch beibringen, wie Ihr Saidin berühren könnt, genauso wenig, wie Ihr es erlernen könntest, Saidar zu berühren. Ein Vogel kann einem Fisch nicht das Fliegen beibringen und ein Fisch keinem Vogel, wie man schwimmt.«
»Ich habe das schon immer für eine falsche Redensart gehalten«, warf Verin plötzlich ein. »Es gibt Vögel, die tauchen und schwimmen können. Und im Meer der Stürme gibt es fliegende Fische. Sie breiten lange Flossen aus, die beinahe so weit reichen wie ausgestreckte Arme, und sie haben Schnäbel wie Schwerter, die selbst einen …« Ihre Worte wurden leiser und unverständlich, und sie schien verwirrt. Moiraine und die Amyrlin blickten sie ausdruckslos an.
Rand nutzte die Unterbrechung, um wenigstens einigermaßen die Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Wie Tam es ihn vor langer Zeit gelehrt hatte, formte er in seinem Geist eine einzelne Flamme und leerte seine Ängste hinein, suchte die Leere, die Ruhe des Nichts. Die Flamme schien zu wachsen, bis sie alles umhüllte, bis sie zu groß war, um noch länger im Geist festgehalten zu werden. Mit einem Schlag war sie verschwunden, und statt ihrer fühlte er inneren Frieden. An dessen Rand flackerten immer noch Gefühle auf. Furcht und Zorn wirkten wie schwarze Flecke, aber das Nichts blieb bestehen. Gedanken glitten über seine Oberfläche wie Kieselsteine über Eis. Die Aufmerksamkeit der Aes Sedai hatte sich nur einen Moment lang von ihm abgewandt, aber als sie sich wieder umdrehten, war sein Gesicht entspannt.
»Warum sprecht Ihr so mit mir, Mutter?«, fragte er. »Ihr solltet mich einer Dämpfung unterziehen.«
Die Amyrlin runzelte die Stirn und wandte sich Moiraine zu. »Hat Lan ihm das beigebracht?«
»Nein, Mutter. Er hat es von Tam al’Thor.«
»Warum?«, wollte Rand erneut wissen.
Die Amyrlin sah ihm direkt in die Augen und sagte: »Weil Ihr der Wiedergeborene Drache seid.«
Das Nichts schwankte. Die Welt schwankte. Alles schien sich um ihn zu drehen. Er konzentrierte sich auf das Nichts, und die Leere kehrte zurück, die Welt
Weitere Kostenlose Bücher