Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
auf seinem Schädel.
Um Evelyns Körper aus der Tür zu bekommen, hatte er sich zur Seite drehen müssen.
Jody konnte es zwar nicht sehen, aber sie wusste, dass er einen Speer in seinen Händen hielt. Er musste über zwei Meter lang sein.
Und ihre beste Freundin steckte auf seiner Spitze.
Wie betäubt beobachtete sie, wie der Mann einfach weiterging.
Er hat mich nicht gesehen!
Oh Gott, oh Gott! Er weiß nicht, dass ich hier bin! Evelyn hat ihm die Sicht verdeckt, und da …
Ich muss hier raus!
Doch dann fragte sie sich, ob es nicht sicherer wäre, sich zu verstecken. Nein. Vielleicht kam er ja zurück oder
durchsuchte das ganze Haus, bevor er sich aus dem Staub machte. Oder er steckte es in Brand.
Ich muss abhauen!
Sollte sie sich erst anziehen? Sie verspürte das dringende Bedürfnis, denn nur in ihrem Nachthemd fühlte sie sich entblößt und verwundbar.
Aber was, wenn er zurückkommt, wenn ich gerade …?
Außerdem steckte eine ganze Handvoll Kleingeld in der Vordertasche ihrer Jeans – und das würde ordentlich klimpern, sobald sie die Hose auch nur aufhob.
Hau einfach ab. Zum Teufel mit den Klamotten.
Sie kroch vorwärts und spähte gebückt durch die Tür.
Der Mann hatte mit Evelyn bereits den halben Flur durchquert. Er war von dem gelben Lichtschein eingerahmt, der aus der geöffneten Tür des Elternschlafzimmers drang.
Der faulige Geruch war jetzt nicht mehr ganz so schlimm, hing aber immer noch süßlich und widerlich in der Luft.
Er stinkt so grauenhaft, dachte Jody.
Wie schafft man es nur, so dermaßen zu stinken?
Sie wollte es eigentlich gar nicht wissen.
Er war so breit wie ein Kleiderschrank und in zerfledderte Fetzen und Lumpen gekleidet, die im Rhythmus seines schwerfälligen Gangs hin und her schlackerten. Er trug Evelyn am Ende des Speers vor sich her. Ihr Kopf berührte fast die Decke.
Als er sich der erleuchteten Tür näherte, ließ er sie sinken, schwang sie zur Rechten durch den Türrahmen und verschwand schließlich mit ihr im Schlafzimmer.
Sie sind tot! Alle! Evelyn, ihre Mom, ihr Dad – und Andy? Wo ist Andy?
Die Tür zu seinem Zimmer befand sich direkt gegenüber. Sie war geschlossen. Schnell sah Jody sich um, dann kroch sie auf allen vieren darauf zu.
Er würde ihr natürlich keine große Hilfe sein. Was konnte ein zwölfjähriger Junge in einer solchen Situation schon groß ausrichten? Besonders ein Kind von Andys Größe. Aber sie wollte ja nicht seine Hilfe. Sie wollte ihn aus diesem Haus schaffen.
Es war grauenhaft, ihn in einer solchen Lage aufwecken zu müssen. Vielleicht wäre es barmherziger gewesen, ihn weiterschlafen zu lassen und ihm so die Nachricht vom Tod seiner Familie zu ersparen.
Sie würde ihn aus dem Schlaf reißen müssen, um ihm etwas zu sagen, das so schrecklich war, dass es sein Verstand wahrscheinlich gar nicht begreifen konnte.
Außerdem war sie sich nicht sicher, ihn wirklich retten zu können.
Vielleicht würden sie beide umgebracht.
Wenn sie ihn schlafen ließ und versuchte, allein zu fliehen, standen ihre Chancen um einiges besser.
Zum Teufel, dachte sie.
Setz alles auf eine Karte, ertönte eine Stimme in Jodys Kopf, die sehr nach ihrem Vater klang.
Sie streckte den Arm aus, packte die Türklinke und zog sie herunter. Das Geräusch des zurückgleitenden Riegels ließ sie zusammenzucken. Langsam öffnete sie die Tür und kroch in Andys dunkles Zimmer.
Dann richtete sie sich auf, schloss die Tür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und holte tief Luft.
Die Vorhänge waren zugezogen. Trübes Licht schimmerte an ihren Rändern. Jody konnte Andys Bett nur
vage erkennen. Sie sah nicht einmal, ob der Junge überhaupt darin schlief.
Sie lauschte, hörte ihren eigenen, heftigen Herzschlag und Andys Atmen.
Seinen langsamen, leichten Atem.
Entweder schläft er oder er tut nur so, dachte sie.
Von irgendwoher hörte sie leise Musik. Es war der Titelsong aus Cats . Kam er aus dem Schlafzimmer der Clarks? Hatte dieses Monster das Radio eingeschaltet?
Was tut er überhaupt da drin?
»Andy?«, flüsterte sie.
Keine Antwort.
Sie traute sich nicht, das Licht einzuschalten.
Stattdessen beugte sie sich vor, streckte die Arme aus und tastete sich vorsichtig zum Bett vor. Ihre nackten Füße traten auf eine weiche Bettdecke, die auf dem Boden lag. Ihre Hände fanden die Überdecke. Sie folgte dem Rand der Matratze in Richtung Kopfseite.
Dann setzte sie sich auf die Matratze und legte die Hand in die Mitte des Bettes. Sie
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