Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
Treppe auf der anderen Seite erreichen wollten.
Es gab nur zwei andere Möglichkeiten: entweder der Sprung aus einem Fenster im ersten Stock – oder ein gutes Versteck. Wenn sie sprangen, würden sie sich mit Sicherheit verletzen. Sie würden sich zwar nicht, wie
Andy befürchtete, den Hals brechen, doch es war keineswegs selbstverständlich, dass sie nach einem solchen Sturz noch laufen konnten. Sich zu verstecken war auch keine Lösung. Schon beim Gedanken daran bekam Jody eine Gänsehaut. Als Kind hatte sie genug Verstecken gespielt, um zu wissen, dass man früher oder später immer gefunden wurde. Außerdem konnte dieser Kerl noch Stunden im Haus zubringen. Oder es in Brand stecken, ehe er es verließ.
Wenn sie sich versteckten, begaben sie sich freiwillig auf die Schlachtbank.
Wir sind erst sicher, wenn wir hier raus sind.
Also mussten sie die Treppe erreichen. Was wiederum hieß, dass sie am hell erleuchteten Schlafzimmer vorbeimussten.
Mit jedem Schritt, den Jody auf das Schlafzimmer zuging, wurde »Goodnight Saigon« lauter.
Es gefiel ihr nicht besonders, zu hören, wie Billy Joel davon sang, dass alle gemeinsam draufgehen würden. Das gefiel ihr nicht im Geringsten. Draufgehen bedeutete, getötet zu werden, nicht wahr?
Niemand wird uns töten. Wir werden es schaffen.
Wenn wir nur erst an der Tür vorbei sind …
Sie wollte Andy davor warnen, in den Raum zu sehen. Aber sie traute sich nicht, auch nur das winzigste Geräusch zu machen. Außerdem würde er sowieso hinsehen, egal, was sie tat.
Als sie sich der Tür näherte, umklammerte sie den Baseballschläger mit beiden Händen und legte ihn auf ihrer linken Schulter ab, so als würde sie sich gerade zum Schlagmal begeben.
Die Linke war ihre Schlaghand.
Seltsamerweise war Baseball das Einzige, was sie linkshändig besser konnte. Sie hatte keine Ahnung, warum. Dad behauptete, es auch nicht zu wissen. Doch manchmal vermutete sie, dass er sich einen Scherz erlaubt hatte, als er ihr das Spiel beigebracht hatte.
Wetten, dass er im Traum nicht dran gedacht hat, dass ich einmal einem Irren den Schädel einschlagen muss.
Und vielleicht noch einem weiteren.
Oh Himmel.
Nur wenige Schritte von der Tür entfernt überkam Jody eine Welle der Panik. Sie hätte am liebsten losgeschrien und wäre einfach an der Tür vorbeigerannt.
Langsam und vorsichtig, ermahnte sie sich. Immer mit der Ruhe. Wenn wir unbemerkt vorbeischleichen können, sind wir in Sicherheit.
Sie fragte sich, ob sie kriechen oder gar auf dem Bauch robben sollten. Vielleicht wären sie so nicht so leicht zu entdecken, andererseits würde es viel länger dauern, bis sie vorbei waren. Außerdem war es gar nicht leicht, mit ihren Waffen auf dem Boden herumzukriechen. Und wenn sie doch jemand entdeckte, konnten sie sich weder verteidigen noch schnell losrennen.
Wir gehen weiter, dachte sie.
Schleichen uns einfach vorbei, leise und schnell.
Sie fragte sich, auf welcher Seite des Flurs sie sich halten sollten. Vermutlich wäre es das Beste, direkt an der Tür vorbeizugehen. Aber das brachte sie nicht fertig. Was, wenn der Kerl an der Tür lauerte? Er musste einfach nur die Hand ausstrecken.
Oder mit dem Speer zustoßen.
Außerdem befand sich die Treppe auf der gegenüberliegenden Seite der Tür.
Sie hielt sich also auf der linken Seite. Andys Hand lag noch immer auf ihrem Rücken.
Das Holz des Schlägers fühlte sich in ihren schweißnassen Händen glitschig an.
Sie trat in den Lichtkegel.
Sieh nicht hin, sagte sie sich. Wenn er dich sieht, wirst du das schon mitbekommen.
Es waren nur noch etwa drei Meter bis zu dem Treppenpfosten.
Wir schaffen es!
Andys Fingerspitzen gruben sich in ihren Rücken. Er stöhnte auf, sodass ihr die Haare zu Berge standen.
Sie wirbelte herum und sah durch die Tür.
Der fette Kerl, der Evelyn getötet hatte, stand neben dem Bett. Und er war nicht allein. Da waren noch mehr – wie viele? Fünf, sechs?
Sie waren absolut still. Kein Lachen, Knurren, keine Diskussionen oder Scherze. Dafür waren sie zu beschäftigt. Außer Billy Joel, der im Radio über den Vietcong sang, einigen quietschenden Bettfedern, schwerem Atmen und feuchten, klatschenden Geräuschen war nichts zu hören.
Jody konnte weder Evelyn noch Mr oder Mrs Clark erkennen.
Doch sie vermutete, dass sie irgendwo da drin waren.
Alles, was sie sah, waren Männer, nackte Haut, Waffen und Blut.
Sie beobachtete sie nur eine Sekunde lang, nicht lange genug, um mitzubekommen, was sie da
Weitere Kostenlose Bücher