Die Jagd nach dem Vampir
sie.
»Wer ist Lizzie Black?«, entgegnete ich unschuldig.
»Eine durchgeknallte alte Jungfer, die an die verrücktesten Dinge glaubt. Sie lebt am Ende der Straße, auf der du gelandet bist. Hat dir jemand aus dem Dorf von ihr erzählt?« Sie hob eine Augenbraue. »Hat dir jemand in Finch geraten, Lizzie Black über Vampire zu befragen?«
»Warum sollte ich jemanden über Vampire ausfragen?«, erwiderte ich mit einem nachsichtigen Lächeln.
»Weil du seit Schulbeginn nach Gründen suchst, dir Sorgen um Rob und Will zu machen«, sagte sie. »Wenn es kein Chlorgas ist, sind es die Masern. Und nach dem, was sie uns gestern Abend erzählt haben, wette ich mein Hochzeitskleid, dass du dich in die Geschichte von Rendor dem Zerstörer der Seelen hineingesteigert hast.«
»Ich habe mich in gar nichts hinein …«, begann ich, aber Annelise unterbrach mich mit einem ungeduldigen Schnauben.
»Ich werde dir ein paar Dinge über Lizzie Black verraten«, sagte sie. »Mein jüngster Bruder, Tony, ist ihr einmal beim Beerensammeln im Wald begegnet, und weißt du, was geschehen ist?«
»Nein«, sagte ich.
»Tony musste sich auf einen Baumstumpf setzen, und sie erzählte ihm die Geschichte vom Schmetterlingsmann. Klingt nett, nicht wahr? Harmlos.«
»Schmetterlinge erfüllen einen nicht gerade mit Schrecken«, stimmte ich zu.
»Warte ab.« Annelise verfiel in einen melodischen Märchenerzählton, als wollte sie einem kleinen Kind eine Geschichte zum Besten geben. »Der Schmetterlingsmann fängt kleine Kinder in seinem Netz und bringt sie in sein dunkles Haus mitten im Wald. Drinnen spießt er sie auf einem Bord auf und schüttet ihnen Kampfer über den Kopf, bis sie tot sind.« Annelise hob die Hände. »Tony war acht Jahre alt, Lori! Er glaubte der alten Hexe jedes Wort! Wir brauchten eine Weile, um herauszufinden, warum er nicht mehr aus dem Haus gehen wollte, aber als wir erfuhren, warum, ist unsere Mutter zur Hilltop-Farm gefahren und hat ein Wörtchen mit Lizzie geredet. Und weißt du, was Lizzie zu Mum gesagt hat?«
»Nein«, sagte ich.
»Sie sagte, dass meine Mutter sich besser in Acht nehmen solle, sonst käme der Schmetterlingsmann und würde sie in einem seiner Kästen aufspießen!« Annelise schüttelte den Kopf. »Lizzie hat mehr als eine Schraube locker, Lori, und es macht ihr Spaß, leichtgläubige Menschen zu ängstigen. Du solltest dich nicht mit ihr einlassen.«
»Danke für die Warnung«, sagte ich. »Übrigens habe ich auch eine für dich. Die Zwillinge haben ihre Geschichte gestern Abend vielleicht etwas ausgeschmückt, aber es gibt Hinweise, dass sie am Sonntag durchaus jemanden in den Wäldern gesehen haben. Kit und ich haben die Stelle noch einmal untersucht und Fußspuren gefunden.«
Annelise runzelte die Stirn.
»Kit hat die Stallburschen bereits in Alarmbereitschaft versetzt«, fuhr ich fort. »Hab morgen bitte ein besonders wachsames Auge auf die Jungen. Nicht dass es sonst anders wäre, aber …«
»Ich werde Will und Rob nicht aus den Augen lassen«, versicherte Annelise. Dann musste sie herzhaft gähnen.
»Warum gehst du nicht schlafen?«, schlug ich vor. »Ich bringe die Jungen ins Bett.«
»Gerne«, sagte sie und unterdrückte ein weiteres Gähnen. »Ich weiß gar nicht, warum ich so müde bin. Muss am Wetter liegen.«
»Der trübe Himmel macht jeden müde«, stimmte ich zu.
Annelise ging zu ihrem Zimmer hinauf, und ich begab mich ins Wohnzimmer, um die Zwillinge einzufangen. Während ich sie nach oben lotste, musste ich an Lizzie Black und den Schmetterlingsmann denken. Ich konnte mir nicht erklären, warum mich Tante Dimity ermutigt hatte, auf jemanden zu hören, der so offensichtlich den Bezug zur Realität verloren hatte. Vielleicht, dachte ich, hatten sich erst nach Dimitys Ableben ein paar Schräubchen bei Lizzie gelockert.
Um halb neun schliefen sowohl Annelise als auch die Jungen tief und fest. Derweil saß ich in dem Ledersessel mit dem hohen Rücken vor dem Kamin im Arbeitszimmer. Das Tagebuch lag aufgeschlagen in meinem Schoß, und Reginald schmiegte sich in meine Armbeuge. Stanley hatte es vorgezogen, die Nacht bei Will und Rob zu verbringen.
»Tante Dimity?«, sagte ich leise. »Ich bin zur Hilltop-Farm gefahren und habe Lizzie Black kennengelernt.«
Tante Dimitys gestochene Handschrift kräuselte sich über die Seite. Hat sie mit Dir gesprochen?
»Ja. Nachdem ich ihr verraten hatte, dass ich die Tochter deiner besten Freundin bin.«
Deine Mutter würde sich freuen
Weitere Kostenlose Bücher